Hereinspaziert und her damit!

Kunst und Spaß, wie leicht geht das: Die Londoner Low-pop-Artistin Sarah Lucas mit Wachsobjekten und Sexinstallationen in Frankfurt/Main  ■ Von Martin Pesch

Der derzeitige Trubel um das Phänomen „Junge Kunst aus London“ mache sie sehr nervös, sagt Sarah Lucas. Insbesondere die Vorstellung, daß sich in zwei Jahren, wenn sie vielleicht ihre besten Arbeiten produzieren könnte, niemand mehr dafür interessieren würde. Zur Zeit sagt jeder zur ihr: Hereinspaziert und her damit!

Die 1962 geborene Sarah Lucas gehört zu einer Szene jüngerer KünstlerInnen aus Großbritannien, die in den letzten zwei Jahren für Furore gesorgt haben. Dafür, daß hier eine bestimmte Art junger Kunst überhaupt zu einem Thema werden konnte, waren ökonomische wie psychologische Gründe ausschlaggebend. In Großbritannien hat die Saatchi Collection der beiden Werbebrüder Saatchi & Saatchi einen immensen Einfluß. Als deren Gremien sich entschlossen, in junge Kunst zu investieren, war dies der Anlaß, überhaupt Arbeiten von KünstlerInnen zu beachten, die gerade ihre Ausbildung abgeschlossen hatten. Galerien mußten danach keine große Aufbauarbeit mehr leisten.

Ihr Erfolg füllt aber auch ein Vakuum aus, das der Kunstboom der achtziger und die Reflexionsversuche der Neokonzeptkunst Anfang der neunziger Jahre hinterlassen haben. An der Vehemenz und Schnelligkeit, mit denen sich ein bestimmter Kreis von Namen in Galerieanzeigen und in Kunstzeitschriften ausgebreitet hat, ist die Tatsache abzulesen, daß den KunstmanagerInnen die um Kontexte und pc-Ansprüche bemühte Kunst wenig Spaß gemacht hat. Vordergründig war bei der jungen Londoner Garde das zu haben, was als Mangel empfunden wurde: Provokation, Tabubruch, Leben, Blut und Gestank. Damit schmückt man sich gern. Die konservierten Tierkadaver von Damien Hirst, der Sid Vicious mit Pistole in Vitrine von Gavin Turk, die Gemälde von extrem fettleibigen Menschen von Jenny Saville oder die stilisierten Schwänze und obszönen Gesten von Sarah Lucas – das alles wurde inzwischen zu einer Szene, zu einer künstlerischen Position homogenisiert.

Betont man anläßlich der ersten Einzelausstellung von Sarah Lucas in Deutschland das, was man dahinter als Struktur ausgemacht hat, wiederholt man in gewisser Weise diese Homogenisierung. Und wie wichtig sind eigentlich diese kunstbetrieblichen Einzelheiten, unter denen die künstlerischen Einzelheiten verschwinden? Das, wovor Lucas Angst hat, nämlich das Abklingen des Hype, wäre ihr in diesem Sinne zu wünschen. Zu fragen wäre dann, was an ihrer Kunst diesseits des kulturellen Umfeldes interessant ist. Oder ist gerade das interessant, was ihre Arbeiten über die Formen ihrer Präsentation in Erfahrung bringen lassen?

Das fängt bei Kleinigkeiten an. In Artikeln zu Lucas wird zum Beispiel gerne erwähnt, daß die Künstlerin im Osten von London wohnt. Die ihren Arbeiten eigene Billigkeit, Rauhheit und ihr ungehobeltes Betragen auf den fotografischen Selbstporträts wird dabei kurzgeschlossen mit dem Image von East End als Heimstätte proletarischer Abgebrühtheit. Wahr ist indessen, daß Sarah Lucas in Nordlondon lebt.

Was zum Bild paßt und was aus ihm ausgeschlossen bleibt – genau das ist Thema von Sarah Lucas. Ihre Arbeiten sind Bilder von Sexualität, Bilder des menschlichen Körpers. Ihr Umgang damit äußert sich als Kommentar oder Konfrontation. In die Mitte des Frankfurter Portikus hat sie einen roh gezimmerten Holzschuppen gestellt, den sie innen vollkommen mit tabloids tapeziert hat („Chuffing away to oblivion“). Billige Zeitungen und die in ihnen präsentierte Mixtur aus Softporno und harter Gewalt sind seit Jahren ihr Material, das sie in Collagen verarbeitet. Unschön und billig sehen auch viele ihrer Skulpturen aus. „Au naturel“ etwa besteht aus einer schmuddeligen, halb auf dem Boden liegenden, halb an eine Wand gelehnten Matratze. Melonen, Blecheimer, Orangen und Salatgurke deuten bald comichaft überzeichnet weibliche und männliche Geschlechtsorgane an. „Bitch“ ist ein Tisch, der mit einem T-Shirt bespannt ist, in dem zwei Melonen hängen, an der anderen Tischkante hängt ein vakuumverpackter Fisch herab. Das ist alles sehr deutlich. Man möchte es realen Realismus nennen, der sich gegen den massenmedialen Hyperrealismus stellt, in dem Sexualität eine abwaschbare Angelegenheit ist.

Den Sarkasmus, der von diesen Arbeiten abstrahlt, löst sie mit einem höhnischen Lachen auf. Etwa, wenn sie in einer Reihe gerahmter Vierfarbfotos einen nackten Mann zeigt, der vor sein Gemächt entweder eine aufschäumende Dose Bier hält oder eine Milchflasche und zwei Butterkekse. Die Haltung, mit der diese Fotos gemacht werden, spiegelt sich in einem kleinen, an der Wand hängenden Abguß ihrer Mundpartie wider. Die hochgezogene Lippe und die im Mundwinkel steckende Zigarette stützen die auch in den Selbstporträts vermittelte Fiktion einer Frau, der man nicht so schnell etwas anhaben kann. Im Titel der kleinen Wachsskulptur wird die Rotzlöffligkeit aber schon wieder gebrochen mit der bangen Frage: „Where does it all end?“

Sarah Lucas, Portikus. Frankfurt/ Main, bis 19. Mai