■ StudentInnen ab ins Kaff
: Staatssekretär Erich Thies (CDU) über Reformen und Fernreisen

InterviewSommersemester 1996

StudentInnen ab ins Kaff

Staatssekretär Erich Thies (CDU) über Reformen und Fernreisen

taz: Würden Sie sich als Studienanfänger eine Universitätsstadt aussuchen, in der drei Hochschulen pro Jahr 196 Millionen Mark einsparen müssen?

Thies: Ich würde meinen Studienort nicht danach aussuchen, wo eingespart wird. Mein Maßstab wäre die Qualität einzelner Hochschullehrer und die Attraktivität einer Stadt. Als Studienanfänger würde ich mir eine kleine Universität aussuchen. Das habe ich auch meiner Tochter empfohlen.

Wohlhabende Eltern schicken ihre Kinder schon heute auf englische und amerikanische Universitäten. Was muß reformiert werden für mehr Qualität der Lehre?

Diese Eltern bezahlen dort enorme Studiengebühren, und auch dadurch gibt es an diesen Universitäten andere Betreungsverhältnisse. Ich glaube, daß vernünftige Studiengebühren in Verbindung mit der Möglichkeit der Universitäten, Studenten selbst auszusuchen, die Studienbedingungen verbessern könnten.

Wollen Sie Universiäten, die nur eine schmale Elite rekrutiert?

Nein, aber zum Beispiel von den Lehramtsstudenten brechen mehr als 50 Prozent ihr Studium ab. Das Abitur ist als Qualifikation nicht mehr ausreichend, um zu studieren. Wenn von Anfang an klarer wäre, welche Ansprüche ein Studium stellt, wären die Mißverständnisse und die biographischen Krisen nicht so zahlreich.

Wie sollen Aufnahmetests konkret aussehen?

Die Aufnahmeprüfungen müßten fachspezifisch sein und von den Universitäten selbst vorgenommen werden. Fachbereich, Institut oder Fakultät müssen ihre Kriterien selbst formulieren, je nach den Möglichkeiten der Lehrkapazität.

Weshalb befürworten Sie Studiengebühren?

Studiengebühren finde ich vernünftig, weil dadurch ein Leistungsgesichtspunkt mit ins Spiel kommt. Studierende, die Geld bezahlen müssen, stellen höhere Ansprüche.

Muß die Qualität der Lehre vor der Einführung der Studiengebühren verbessert werden?

Das ist ein Kreislauf, weil die Studiengebühren ja zum erheblichen Teil auch an die Universitäten zurückfließen sollen. Das könnte eine Differenzierung der Hochschulen nach Leistung mit sich bringen. Wenn viele Studierende eine Fachrichtung studieren wollen, wird es einen enormen Druck geben, und es werden nur bestimmte Studenten an diesem Fachbereich studieren können.

Sind Studiengebühren nicht sozial ungerecht?

Es muß auf die Sozialverträglichkeit Rücksicht genommen werden. Senator Radunski hat vorgeschlagen: Die ersten vier Semester müssen bezahlt werden, und weitere Semester nur dann, wenn die Regelstudienzeit überschritten wird. Ich bin der Auffassung, daß es grundsätzlich Aufgabe der Eltern ist, für die Ausbildung der Kinder zu sorgen. Wo Eltern sich das nicht leisten können, muß der Staat helfen.

Sie wollen das Ende der „offenen Hochschule“.

Was heißt offene Hochschule? Wenn damit Massenveranstaltungen gemeint sind, kann man darauf sicher verzichten. Absolventen einer offenen Hochschule, die der Arbeitsmarkt nicht aufnimmt, bringen uns nicht weiter. Es muß stärker differenziert werden zwischen beruflicher Qualifikation und wissenschaftlicher Arbeit.

Die Humboldt-Universität sollte eine „Eliteuniversität“ werden, jetzt wird sie kaputt gespart. Hat die große Koalition die Zukunft des Wissenschaftsstandorts schon vor dem Regierungsumzug ruiniert?

Soweit würde ich nicht gehen. Auch die Universitäten müssen ihren Beitrag zur Konsolidierung des Haushalts leisten. Aber die Stornierung von Neueinstellungen ist der Tod des Universitätslebens. Es ist eine Grenze erreicht, über die man nicht hinausgehen darf.

Wie wird die Fusion von Berlin und Brandenburg die Hochschulen verändern?

Ich halte das brandenburgische Hochschulgesetz für vernünftig und diskussionsfähig. Der brandenburgische Wissenschaftsminister kann Studiengänge einstellen und zusammenlegen.

Damit gefährden Sie die Hochschulautonomie.

Man muß sich fragen, ob die Hochschulautonomie nicht ein Popanz ist. Wenn der Staat beschließt, einen Studiengang einzustellen, hat das mit Hochschulautonomie überhaupt nichts zu tun, weil die Hochschulautonomie sich auf die Inhalte von Lehre, Forschung und Studium bezieht. Ich bin für eine klare Trennung von Hochschule, Staat und Politik.

Ist es nicht sehr populistisch, wenn Ihr Senator sagt, man solle sich doch überlegen, „ob eine Wohnung, ein Wagen und zwei Urlaubsreisen im Jahr zum Lebensstandard eines Studenten gehören“.

Ich kenne kaum Studierende, die so leben. Allerdings ist der Lebensstandard sehr anspruchsvoll geworden. Die Studierenden werden sich ihre Autos und ihre internationalen Reisen nicht mehr leisten können. Aber das gilt auch für den Rest der Gesellschaft. Interview: Rüdiger Soldt

Staatssekretär Erich Thies (CDU) Foto: Lennart Paul