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Manuskript aus dem Küchenschrank

■ Mit „Nur eine Scheibe Brot“ bringt das Bremer Theater ein lange verschollenes Fassbinderstück heraus / Von der Fragwürdigkeit, den Holocaust zu verfilmen / Kleine Filmreihe im „Cinema“

„Ich darf diesen Film nicht machen. Niemand darf diesen Film machen. Man kann etwas gänzlich Unbegreifliches nicht formulieren.“ „Mich macht es unglücklich, etwas darzustellen, wie beispielsweise das Lager in meinem Film, ich inszeniere doch im Grunde genau wie die SS damals.“ Der Holocaust als Fernsehfilm, Auschwitz im Kino. Man muß schon Spielberg heißen, um bei diesem Thema keine Bedenken gegenüber den Gesetzen des Mediums zu entwickeln. Der Regisseur, der hier seinen Vorbehalten Ausdruck gibt, trat lange vor der Diskussion um „Schindlers Liste“ auf den Plan. In einem Theaterstück über die Filmarbeiten zum Thema KZ artikuliert Fassbinders Figur Bedenken, die andere sich allenfalls im Interview abringen lassen.

„Nur eine Scheibe Brot“ ist Rainer Werner Fassbinders allererstes Stück. Der 21jährige reichte es 1966 bei einem Dramatikerwettbewerb ein und gewann den dritten Preis. Jetzt bringt das Bremer Theater „Nur eine Scheibe Brot“ in der deutschen Erstaufführung heraus. Eine kleine Sensation, denn erst zwölf Jahre nach dem Tode Fass-binders tauchte das Stück wieder auf, es hatte all die Jahre im Küchenschrank seiner Mutter gelegen. Was dreißig Jahre später als zwingendes Gesetz des Medienmarkts bei Spielberg Bedenken im Keim ersticken soll, wird schon 1966 thematisiert.

Der Auftrag, einen Film über Auschwitz zu machen: „Da ist ja eine tolle Möglichkeit, da hast du ja von vorneherein alle Preise und Prädikate in der Tasche“, prognostiziert ein Freund dem Filmregisseur Fricke im Stück.

Soweit der Text des Bühnenstücks. In der Realität mußte Fass-binder genau die entgegengesetzte Erfahrung machen. Der Film zu „Nur eine Scheibe Brot“ wurde nie gedreht. Das bei der Berliner Filmakademie eingereichte Drehbuch wurde abgelehnt. Ein Glück für Bremen, denn so blieb Rainer Werner Fassbinder dem Theater noch für einige Jahre erhalten. 1971 eröffnete die legendäre Experimentierbühne „Concordia“ mit zwei Inszenierungen des Theaterregisseurs Fassbinder. Doch im wesentlichen gründet sich der Ruhm Fass-binders auf dessen Filme. Parallel zur Premiere im Concordia laufen zwei seiner alten Filme im Cinema Ostertor. „Katzelmacher“, der Fassbinder berühmt machte, erzählt von Fremdenhaß und ritualisierten Umgangsformen und steht noch ganz in der Tradition des sozialkritischen Volkstheaters. „Die bitteren Tränen der Petra von Kant“ werden von einer erfolgreichen, aber einsamen Modeschöpferin vergossen. Auch dieses Melodram wurde von ihm nach seinem eigenen Bühnestück in bewußt künstlich-kitschigen Stil in Worpswede inszeniert.

Zusätzlich lädt das Bremer Theater ehemalige künstlerische Mitarbeiter Fassbinders zu einer Podiumsdiskussion ein: Neben dem ehemaligen Intendanten Kurt Hübner, dem Schauspieler Peer Raben berichten Hans Hirschmüller und Burkhard Mauer von der Bremer Theaterarbeit Fassbinders in den Jahren 1969 bis 1971 .

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Premiere heute um 20.30 Uhr im „Concordia“; „Katzelmacher“ läuft am 13. Mai um 19 Uhr im „Cinema“ und „Die bitteren Tränen der Petra von Kant“ am 20. Mai um 19 Uhr. Die Podiumsdiskussion findet am 16. 5. um 20 Uhr im Concordia unter dem Titel „Ich will doch nur, daß ihr mich liebt“ statt.

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