Ein Abgrund an Sauberkeit

Tod eines Jungen: Das Bayreuther Langericht verurteilte die Eltern des dreijährigen Maximillian Nhalungo – den Vater zu einem Jahr und acht Monaten, die Mutter zu sechseinhalb Jahren  ■ Aus Bayreuth Manfred Otzelberger

Sie würdigten sich keines Blickes. 15 Prozeßtage lang saßen Heike und Carlos Nhalungo auf der Anklagebank des Bayreuther Landgerichts. Gestern wurde das Urteil gesprochen: Wegen Körperverletzung mit Todesfolge, unterlassener Hilfeleistung und der Vortäuschung von Straftaten erhielt Heike N. sechs Jahre und sechs Monate; Maximilliam N. wurde zu einem Jahr und acht Monaten auf Bewährung verurteilt. Ihm wurde keine Körperverletzung nachgewiesen.

Kein Wort hatten die Angeklagten füreinander übrig, auch nicht in den Pausen. Wenn der 29jährige Carlos aus Mozambique, der 1987 zu DDR-Zeiten als Schiffbaustudent nach Wismar kam, über die ein Jahr jüngere Heike aus Mecklenburg redete, war kein Rest an Respekt mehr spürbar. Er sprach nur von „der Frau“.

Zu brutal ist die Tat, derer sich beide gegenseitig bezichtigen. Fest steht, daß vor einem Jahr der dreijährige Maximilian nach elterlichen Mißhandlungen starb. Strittig ist, wer dem Kind die tödlichen Schläge versetzte und die Leiche 15 Kilometer entfernt im Wald vergrub, bevor beide Elternteile eine abenteuerliche Entführungsgeschichte inszenierten. Schon vor der Tat lebte das Ehepaar Nhalungo getrennt; doch am Todestag des Jungen befanden sich beide Elternteile in der Wohnung von Heike Nhalungo.

Hundertschaften der Polizei durchkämmten mit Hubschraubern und Hundestaffeln das oberfränkische Wirsberg auf der Suche nach Maximilian. In dieses 2.000-Seelen-Dorf war die Familie einige Zeit nach der Wende gezogen. Froschmänner tauchten im nahen Silbersee, die Polizei öffnete uralte Bergwerkstollen und untersuchte sogar 80 Tonnen Hausmüll. Erst ein Jogger entdeckte die schon stark verweste Leiche, die offenbar auch angezündet worden war. Zwei Wochen später wäre kaum mehr etwas von dem toten Körper übrig gewesen.

Wenn solch grausige Details vor Gericht zur Sprache kamen, wirkte Heike Nhalungo kühl und emotionsarm. Der Staatsanwalt hatte sich wegen ihrer höchst widersprüchlichen Tatversionen auf sie als Haupttäterin festgelegt und neun Jahre Haft, ein Jahr mehr als für ihren Mann, gefordert. Auch der Vorsitzende Richter Werner Ponsel behandelt die ehemalige Näherin deutich rüder als ihren Mann und attackiert die Sozialhilfeempfängerin schon mal im Kasernenhofton.

Die Mutter prügelt, die Nachbarn gucken weg

Von den Zuschauern im Saal, die den Sensationsprozeß genießen, wird die Frau aus dem Osten, dies sich in der fränkischen Provinz immer fremd fühlte, als Monster betrachtet: eine Rabenmutter, die ihre Kinder wegen Discobesuchen alleinließ, in ihrer Wohnung mit Ausländern wilde Sexparties gefeiert hätte und ihren drei Kindern – ein viertes bekam sie noch kurz vor ihrer Verhaftung – Hiebe statt Liebe verabrechte. Mit dem Handbesen, mit Hausschuhen, mit der flachen Hand. „Manchmal sah man die Fingerabdrücke im Gesicht“, bezeugte ein Nachbar, der zu feige war, das Jugendamt zu informieren. Der schlimmste Vorwurf, den das Gericht den Angeklagten machte: Nachdem der kleine Maximilian von seinen Eltern halbtot geprügelt worden war, holten sie nicht den Notartzt. Sie hätte, erzählte Heike Nhalungo, Angst gehabt, daß ihr das Jugendamt die anderen Kinder wegnähme. Deshalb hätte sie am 9. April 1995 zugesehen, wie Maximilian nach der Prügelorgie blau anlief, schwer atmete und trotz einer amateurhaften Mund-zu- Mund-Beatmung starb. „Da habe ich meine Erziehungspflichten vernachlässigt“, gab die Norddeutsche in einem selten Moment der Selbstkritik zu. „Sie war als Mutter völlig überfordert“, sagen die psychologischen Gutachter, die ihr eine unterdurchschnittliche Intelligenz, eine Hirnstörung und eine Lernbehinderung attestierten.

Eine Täterin, die auch immer Opfer war? Mitverantwortlich für etliche Entwicklungsstörungen in Heike Nhalungos Leben ist ihr Vater. „Er war Alkoholiker, prügelte seine Töchter, wenn ihm danach war, heute lebe ich längst getrennt“, bezeugt die Mutter. Heike war diejenige, die am meisten abbekam, erinnern sich ihre sechs Schwestern.

Einen Teil dieser erlittenen Gewalt hat sie an ihre eigenen Kinder weitergegeben. Die mußten parieren und wurden zwanghaft ruhiggestellt. „Läßt du Kinder etwa Kinder sein? Die muß man schlagen, daß das Blut spritzt“, soll Heike Nhalungo nach Zeugenaussagen geäußert haben. Und tatsächlich fanden sich überall in der Einzimmerwohnung zwischen Jesusbildern, Porzellancockerspanieln und mittelalterlichen Schmuckpistolen Blutspritzer. „Für mich gibt es einen Unterschied zwischen Hauen und Schlagen, nur ein paarmal habe ich verkehrt zugelangt“, verharmloste die Angeklagte ihren „strengen, aber herzlichen“ Erziehungsstil. Sie bestrafte die Kleinen mit Flüssigkeitsentzug, in die Ecke stellen, kalten Duschen. „Wie Statuen“ hätten die Kinder in der Öffentlichkeit gewirkt, berichteten Nachbarn. Wehe, wenn sie in die Wohnung Unordnung brachten. Einen neurotischen Putzfimmel hatte Heike Nhalungo schon immer, bestätigt auch ihre Familie. Die Gutachterin: „Heike Nhalungo mußte jeden Tag die Kleider wechseln, weil sie sich sonst dreckig fühlte.“

Carlos Nhalungo litt unter dem Sauberkeitsterror seiner Frau. Aber er war ihr auch sexuell hörig. Still und sanft wirkte er vor Gericht; doch er hat seine Frau zumindest einmal so verprügelt, daß sie ins Frauenhaus wollte. „Der ist nett“, meint ein Zuschauer, „daß er ein Schwarzer ist, dafür kann er nichts.“

Das Jugendamt gehört mit auf die Anklagebank

Der stets um Anpassung bemühte Afrikaner war das Musterbeispiel einer geglückten Integration: Linksaußen im Fußballverein, eine Lehrstelle als Heizungsbauer, beliebt selbst beim Bürgermeister. Dem Gemeindechef klagte Carlos sein Leid: „Meine Frau schlägt die Kinder, aber mir als Schwarzer glaubt keiner bei Polizei und Jugendamt.“ Seine Frau hätte ihm seinen Job gekündigt, ihm seinen Paß weggenommen und ihm mit Ausweisung gedroht. Bürgermeister Rudi Hofmann teilte das alles den Behörden mit, aber die griffen nicht ein.

Wenn eine Sozialpädagogin mal unangemeldet wegen der Kinder kam, ließ sich Heike Nhalungo einfach verleugnen. Die amtliche Schlamperei war das Nebenthema dieses Prozesses: Aufgrund der Nachlässigkeit des Jugendamtes, das die Kinder nie auf Verletzungen untersuchte, saß die Aufsichtsbehörde quasi während des gesamten Prozesses mit auf der Anklagebank. „Der kleine Maxi könnte noch leben, wenn die früher eingegriffen hätten“, glauben viele Zuschauer.

Was wird aus den Kindern der Familie? Sie sind bei Pflegeeltern und im Heim untergebracht, um sich von ihren Traumata zu erholen. Der fünfjährige Christopher, über den die Mutter eine Schweigegebot verhängt hat, soll trotzdem zweimal gegenüber Betreuern geäußert haben: „Es war die Mama.“ Die Kinder, die so unter ihrer Mutter litten – vom Vater, der sich kaum an der Erziehungsarbeit beteiligte, sind regelmäßige Schläge nicht bekannt – hängen nach wie vor an beiden Eltern: „Sie sollen zu uns ins Heim kommen und dort mit uns wohnen“, wünschte sich Christopher.

Warum Heike Nhalungo, die sich von Kindern sehr schnell gestört fühlte, gleich viermal Nachwuchs in die Welt setzte, kann sich ihre eigene Mutter nicht erklären: „Wenn ich das wüßte. Aber ich habe sieben Kinder. Das geht sehr schnell.“