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Ein Riß durch die Gewerkschaften

Zentrale Maikundgebung in Berlin: Mindestens die Hälfte der 20.000 TeilnehmerInnen demonstrierte gegen die DGB-Führung. Polizeieinsatz gegen Kurden: Baby verletzt  ■ Aus Berlin Anita Kugler und Ute Scheub

„DGB-Führung weg!“ – das größte Transparent der zentralen Maidemonstration des DGB haben oppositionelle GewerkschafterInnen gegenüber der Redetribüne plaziert. Nicht nur das: Die beiden einzigen RednerInnen, Christiane Bretz vom DGB Berlin und DGB-Chef Dieter Schulte, müssen gegen ein ohrenbetäubendes Pfeifkonzert anreden. Etwa 20.000 Menschen haben sich vor dem Roten Rathaus versammelt, 10.000 oder mehr geben sich lautstark als KritikerInnen der Gewerkschaftsführung zu erkennen.

Die Oppositionellen sind keine versprengten Sektierer, sondern anständige BeitragszahlerInnen von der Gewerkschaft Handel, Banken und Versicherungen oder der ÖTV. Die HBV demonstriere heute bewußt zusammen mit einem „außerparlamentarischen Bündnis von 120 Gruppen“, so ein Sprecher. Das Bündnis für Arbeit sei nichts als „Klassenkampf von oben“, dem man ein „Bündnis von unten“ entgegensetzen müsse. „Inzwischen geht ein Riß durch die Gewerkschaften, wir fordern Konfrontation mit der Regierung statt ihre Umarmung.“ Ausgegeben werden Parolen wie „Aufruhr! Widerstand! Schulte hat kein Hinterland!“ oder: „1.500 Mark für alle! Sonst pausenlos Krawalle!“ Plakate warnen: „Vorsicht!! Wir sind das Volk“ oder nur kurz und knapp: „Schulte raus!“. Ein Plakat hatte die Polizei schon beschlagnahmt, bevor die vier Sternmärsche am Kundgebungsort eintrafen: „Die Steigerung von Arschloch ist Dieter Schulte“.

Der Tag, an dem die Gewerkschaften die Kampfkraft ihrer Mitglieder gegen den „Bonner Grausamkeitskatalog“ hatte testen wollen, wird zum Desaster. Kräftig daran beteiligt: die AktivistInnen der Grauen Panther. Überhaupt, der normale Maidemonstrant trägt graue Haare. Im Zug der DGB-Jugend, vorneweg ein dröhnender Technolaster, hoppen maximal 300 Berufsjugendliche einschließlich Eltern.

Zum Desaster für die Gewerkschaftsführung wird auch eine Absprache zwischen DGB, kurdischen Organisationen und Polizei. Vereinbart war, daß die Polizei nur eingreift, wenn verbotene PKK- Symbole gezeigt werden. Und dies auch nur nach vorheriger Konsultation mit der gewerkschaftlichen Einsatzleitung und kurdischstämmigen Berliner Abgeordneten. An dieses Arrangement hält sich die Polizei nicht. Der taz namentlich bekannte Zeugen geben an, gesehen zu haben, wie Polizisten während der Demonstration und am Kundgebungsort einzelne Hammer-und-Sichel-Träger zusammenschlugen. In einem Fall überrannten sie bei der Jagd nach einem Kurden einen Kinderwagen. Das Kind mußte ins Krankenhaus. Burckhard Bundt, Funktionär der IGM in Berlin: „Das wird ein Nachspiel haben, die Polizei verhielt sich unangemessen.“

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