Auf gewisse Weise zerrissen

„Du wählst CDU, und darum mach' ich Schluß“: Sir Rocko Schamoni reimt Dinge zusammen, die nachher nicht mehrheitsfähig sind. Schade, aber toll! Der Künstler sieht sich selbst als „nicht konsequent stumpf genug“  ■ Von Johannes Waechter

King Rocko Schamoni ist entthront worden, und keiner hat es gemerkt. Der „King“ ist ihm abhanden gekommen, ein mageres „Sir“ ist ihm geblieben – schwacher Trost für einen Monarchen, der einst die deutsche Humorlandschaft mit fester Hand regierte. Oder besser gesagt: der das Zeug dazu gehabt hätte.

Seit Rocko Schamoni vor zehn Jahren aus Lütjenburg an der Ostsee nach Hamburg gezogen ist, um in St. Pauli sein Glück zu machen, umweht ein Hauch von Tragik die Karriere dieses ebenso begnadeten wie verkannten Entertainers: Niemand nahm seine Genialität zur Kenntnis. Seine Herzensgüte wurde mit Füßen getreten, seine helfende Hand ausgeschlagen. Wenn er Trends setzte, vermochte ihm die Masse nicht zu folgen. War diese dann endlich auf seinem Level angelangt, erklomm er schon wieder das nächste Plateau. Er war lustiger, als hierzulande erlaubt, und ernster, als hierzulande erwünscht ist. King Rocko Schamoni war zu gut für sein Volk, zu gut für uns Deutsche. Also mußte er abdanken.

„Hallo, ich bin Rocko Schamoni / Hallo, die Sonne, sie scheint / Hallo, ich bin Rocko Schamoni / Und wo ich bin, ist überall Sonnenschein“ – mit diesen einprägsamen Zeilen trat Rocko Schamoni vor zehn Jahren ins Licht der Öffentlichkeit. Er war mit einem gewaltigen Sombrero bewehrt und sang krude Trash-Schlager „als Gegenwehr gegen die Ernsthaftigkeit und Idiotie des Punkrock von damals“. Die Goldenen Zitronen wurden auf ihn aufmerksam und krallten sich den blutjungen Nachwuchskünstler, auf daß er in ihrem Vorprogramm Stimmung mache. 1988 veröffentlichte Rocko seine erste LP namens „Vision“ (wird Ende des Jahres auf CD wiederveröffentlicht). Auf dem Cover streichelt er, in einen knappen Leopardendress gehüllt, eine Banane, in die das Wort „sexy“ eingeritzt ist, in Songs wie „Vollgas“ und „Der Tiger in der Nacht“ präsentierte er sich, angenehm selbstironisch, als Rockrebell von unbändiger Verführungskraft und geheimnisvoller Verlorenheit.

So weit, so obskur. Dann lösten sich die Ärzte auf und verkauften von ihrer letzten Platte, dem Dreifach-Live-Album „Nach uns die Sintflut“, innerhalb kürzester Zeit 750.000 Einheiten. Die deutsche Musikindustrie stand Kopf, und Tim Renner von Polydor, aufgrund seiner langjährigen Element-Of-Crime-Unterstützung mit dem Nimbus des Underground-Förderers behaftet, klopfte bei King Rocko an. Dieser entschloß sich, aufs Ganze zu gehen, ein wirklicher Popstar zu werden und die Lücke, die die Ärzte hinterlassen hatten, mit seiner eigenen Version von spaßigem Rock 'n' Roll zu füllen.

Das erste Majoralbum „Jeans & Elektronik“ (1990) wurde konsequenterweise von Bela B. Felsenheimer produziert. Bemerkenswert war vor allem die hochemotionale Trilogie aus den Songs „Ich will Liebe“, „Was kostet Liebe?“ und „Töten für Liebe“, außerdem die zusammen mit Michael Holm eingespielte Coverversion von „Mendocino“, mit der Rocko das Schlagerrevival um fünf Jahre vorwegnahm. „Die Zeit bei Polydor war natürlich darauf angelegt, zu Massenerfolg zu gelangen“, bekennt der King heute. „Ich habe gesagt, okay, wir machen Platten, die sich verkaufen sollen. Die sollen möglichst glatt sein, damit sie im Radio laufen.“

Beim Endverbraucher leider ein Flop

Glatt war „Jeans & Elektronik“ zweifelsohne, im Radio lief die Platte trotzdem nicht. Also wurde für „Disco“ (1991) das Konzept geändert. Bela B.s knalliger Poprocksound wurde auf den Müll geworfen, die „Disco“-Musik komplett elektronisch eingespielt. Heraus kamen keineswegs Synthiepopstückchen, sondern geschmackvolle Slow-House- und Electro- Grooves, zu denen Rocko Zeilen wie „Du wählst CDU / Und darum mach' ich Schluß“ sang. Auf gewisse Weise war dieses Konzept visionär, nimmt es doch die Gewichtsverlagerung von Rock hin zu elektronischer Tanzmusik vorweg, die in den letzten Jahren neue popmusikalische Kreativzentren schuf. Auch bezüglich der Verbindung von elektronischer Musik mit Gesang kam „Disco“ vielen Versuchen, Techno mit Stimme zu humanisieren, zuvor, doch niemand hat den Ball, den Rocko hier aufs Feld der Popmusik spielte, weitergeschossen. Beim Endverbraucher war auch diese Platte ein Flop.

„Als Produkt waren wir zu ambivalent für die Masse“, erklärt Rocko den Mißerfolg. „Es war nicht konsequent stumpf genug. Bei mir geht es immer wieder um das ewig alte Problem, daß ich mich nie darauf einlassen wollte, entweder nur ernsthaft oder nur humorvoll zu sein, sondern immer etwas dazwischen gesucht habe. Die Polydor hat sich natürlich gewünscht, daß das klarer gewesen wäre. Aber für mich ist das künstlerisch zehnmal interessanter, wenn es auf gewisse Art und Weise zerrissen ist und dadurch ähnliche Gefühle beim Konsumenten weckt.“

Zerrissenheit war nicht im Sinne der Polydor, die den Kontrakt mit Rocko Schamoni nach „Disco“ löste und außerdem die Gemeinheit beging, viele tausend unverkäufliche Schamoni-Tonträger einzustampfen, obwohl sich Rocko verzweifelt um eine Übernahme der Restbestände bemüht hatte. „Nach diesem Debakel habe ich mir dann gedacht, daß dieser Jahrmarkt der Eitelkeiten zu anstrengend für mich ist“, kommentiert der Künstler seine geistige Verfassung im Jahr 1992.

Als Popstar auf ganzer Linie gescheitert, orientierte sich Rocko Schamoni auf dem weiten Feld der Underground-Kunst neu. Er spielte in Hendrik Peschels Roadmovie „Rollo Aller“ die Rolle eines freiheitsliebenden Mofafahrers, der „raus aus der Gesellschaft, rein in den Rock“ knatterte. Er gründete zusammen mit Schorsch Kamerun den Pudel Club, Hamburgs beliebten Szenetreff. Ebenfalls zusammen mit Kamerun machte er Motion, eine Artrockband, die 1993 das Album „Ex-Leben (Land, Meer)“ veröffentlichte. Er nahm ein Kunststudium bei Prof. Werner Büttner auf. Er war eine Zeitlang als Moderator der (später gecancelten) Viva- Show „Kitsch“ im Gespräch. Er trat bei den „Pudel Overnight“- Nächten auf 3sat auf, den längsten Fernsehsendungen (sechs Stunden), die das deutsche Fernsehen sich je zu produzieren getraut hat. Und er trug legendäre Diashows vor über das „leckere Trunketrink“ Fanta und über „20.000 Jahre Erde ein Jubiläum feiert Geburtstag“. Nur eines machte Rocko in den letzten vier Jahren nicht: Musik, wie er sie vorher gemacht hatte.

Während dieser Jahre konnte er beobachten, wie sein alter Freund Helge Schneider über Deutschland kam und humoristisch viel von dem erreichte, was Rocko immer vorgeschwebt hatte. „Da war auf einmal ein Boom, bei dem Absurdität, Groteske, Armseligkeit, Löcher und fehlende Pointen angenommen wurden.“ Doch so plötzlich dieser Boom aufkam, so schnell war er wieder vorbei. Der „neue deutsche Humor“, bekloppt und miefig, walzte alles nieder, zusätzlich travestiert durch Überführung in das Schreckgebilde „neuer deutscher Schlager“. „Von daher ist es jetzt extrem schwierig“, klagt Rocko, „auf dem humoristischen Sektor überhaupt etwas zu machen. Man kann es sich kaum noch erlauben, einen Witz zu machen, man läuft dann immer Gefahr, scheel beäugt zu werden. Das ist mir zum Beispiel gerade in Spex passiert.“

Lalala! Hit Rock vom Feinsten

Anlaß war das Album „Galerie Tolerance“, mit dem sich Rocko Schamoni vor einigen Wochen zurückgemeldet hat. Wahlweise trägt die Platte die Titel „Phantasie à la carte“, „Hobby de Luxe“ und „Lalala! Hit Rock vom Feinsten“: Sie ist mit einem Wechselcover ausgestattet, der Hörer kann also jenes Motiv in die CD-Box schieben, das ihm am passendsten erscheint. Diese Unentschiedenheit macht Sinn. „Lalala! Hit Rock vom Feinsten“ ist ein sehr heterogenes Album, das die alte Spannung zwischen Ernst und Humor ständig neu gewichtet und sogar den Ausweg anbietet, die Gegensätze im Zuge einer überlebensgroßen Trash-Epik zu vereinigen – es ist kein Zufall, daß Rocko für „Der goldene Finger“ Kim Fowley, den Großmeister des Breitwandtrash, gesampelt hat. Bestes Beispiel für diesen Kunstgriff ist „Junge Punx“, Rockos pflastersteinerweichende Ballade über die Chaostage: „Ein Treffen der Gefühle / Die Fantasie regiert / Die Schönheit Eurer Jugend / Blendet und schockiert / Junge Punx / Wollen tanzen, wollen träumen ...“ Kein Zweifel: Von der Rolle des Popstars hat sich Rocko Schamoni verabschiedet.

Statt dessen stilisiert er sich zum Lo-Fi-Bohemien, der im Heimstudio vor sich hin orgelt, zum Schlagerprivatier mit einem Hirn voller Zweifel, der über die Unmöglichkeit der Liebe sinniert und davon träumt, dieses Feeling mit Hilfe von großen Orchesterarrangements in unsterbliche Melodien zu kleiden.

Doch eigentlich weiß er, daß der große Wurf ihm nicht mehr gelingen wird, und singt deshalb reifer und abgeklärter denn je. „Meine Geschichte ist tatsächlich zum Teil eine Geschichte der Vergeblichkeit“, sagt Rocko Schamoni heute, „ein donquichottehafter Kampf, der ständig mit Scheitern zu tun hat. Aber nicht so richtig. Von außen betrachtet denkt man immer, daß die Ambitionen gigantisch sind. In Wirklichkeit ist es oft so, daß sich meine Ambitionen in erster Linie in meine eigenen Kreise richten. Dort erwachen meine Sachen zum Leben und blühen auf. Und die schönsten Blüten sind halt immer im Underground aufgeblüht, wo ich jetzt, glaube ich, wieder gelandet bin.“

Rocko Schamoni: „Galerie Tolerance“ (Trikont/Indigo)

Tour (mit Jogging Mystique): Fr., 10.5. Marburg, KFZ; Sa., 11.5. Oberhausen, Zentrum; So., 12.5. Langenfeld, Schaustall; Mi., 15.5. Leipzig, Conne Island; Do., 16.5. Berlin, Hafenbar; Fr., 17.5. Frankfurt/M., KOZ; Sa., 18.5. Freiburg, Vauban-Kaserne; So., 19.5. Zürich (CH), El International; Di., 21.5. Nürnberg, Zwinger; Mi., 22.5. München, Backstage; Do., 23.5. Wien (A), B.A.C.H.; Fr., 24.5. Rosenheim, AStA-Kneipe; Sa., 25.5. Ulm, Ypsilon; So., 26.5. Köln, Underground; Mo., 27.5. Hamburg, Café Keese