Der Beschiß mit der Gleichberechtigung

Als Terroristin kennen sie alle. Als Streiterin für die Emanzipation der Frau wenige. Ulrike Meinhof empörte sich, bevor die Bewegung sich überhaupt rührte. Schon deshalb hat sie noch heute „Sympathisantinnen“. Dazu zählt auch  ■ Ulrike Helwerth

Ulrike lebt! Lange hat mich diese Botschaft auf meinen täglichen Wegen gegrüßt. Eilig hingepinselte Buchstaben auf der Brandmauer eines Kreuzberger Hauses. Doch die, die eigentlich gemeint war, war schon seit Jahren tot. Linker Auferstehungsmythos.

Ich habe sie nicht gekannt, und die RAF-Geschichte hielt mich lange innerlich auf Distanz. Erst die Frauenbewegung hat mir Ulrike Meinhof nähergebracht.

Vor einigen Jahren erzählte mir die Filmemacherin Helke Sander von den Anfängen der Bewegung in Berlin. Von ihrer ersten Begegnung 1967 mit der Schriftstellerin Marianne Herzog und von einem alten Pappkoffer, den jene besaß, voller Material zu Frauenarbeit und Leichtlohngruppen. Den Koffer hatte sie von der Journalistin Ulrike Meinhof bekommen, die damals schon umfangreiche Recherchen zur Situation von Industriearbeiterinnen betrieben hatte. Es war die Zeit, als die „Klassenfrage“ bei der neuen Linken Hochkonjunktur hatte. Ulrike Meinhofs protestantischer Gerechtigkeitssinn empörte sich also über die doppelte Ausbeutung und den Beschiß mit der Gleichberechtigung am Beispiel der Akkordarbeiterinnen (und nicht der Akademikerinnen, Politikerinnen oder Managerinnen, wie heute üblich).

Ihr Hörfunk-Feature „Halb Weib, halb Mensch“

Ihre Hörfunk-Features über diese Frauen, zerrieben zwischen unentlohnter Familienarbeit und leicht- entlohnter Fließbandarbeit hatten Titel wie: „Halb Weib, halb Mensch“ oder „Frauen sind billiger“. Und sie wurden zur besten Sendezeit und in fast allen ARD- Anstalten ausgestrahlt. Ulrike Meinhof war eine eloquente Streiterin für die Emanzipation, bevor von einer Bewegung überhaupt die Rede sein konnte. Leider ist auch das durch die wahnhafte RAF- Hetze später fast völlig verdrängt und vergessen worden.

1968 erschien eine Polemik von ihr gegen die Sozialdemokratisierung der sozialistischen Emanzipationsideale und das daraus resultierende „falsche Bewußtsein“ der Frauen, die wenig an Aktualität verloren hat. So schrieb sie zum Beispiel: „Aus der Emanzipationsforderung ist der Gleichberechtigungsanspruch geworden. Emanzipation bedeutete Befreiung durch Änderung der gesellschaftlichen Verhältnisse, Aufhebung der hierarchischen Gesellschaftsstruktur zugunsten einer demokratischen. Der Gleichberechtigungsanspruch stellt die gesellschaftlichen Voraussetzungen der Ungleichheit zwischen den Menschen nicht mehr in Frage, im Gegenteil, er verlangt nur die konsequente Anwendung der Ungerechtigkeit, Gleichheit in der Ungleichheit: Die Gleichberechtigung der Arbeiterin mit dem Arbeiter, der Angestellten mit dem Angestellten, der Beamtin mit dem Beamten, der Unternehmerin mit dem Unternehmer.“

Ulrike Meinhof war keine Aktivistin der neuen Frauenbewegung. Dafür war sie vermutlich zu sehr Vertreterin der Theorie vom Haupt- und Nebenwiderspruch. Trotzdem war sie so etwas wie eine Wegbereiterin. Welchen Niederschlag ihre agitatorischen Fähigkeiten fanden, hat sie selbst wohl nie erfahren. Mir erzählte eine Freundin, die dabei war, daß im Sommer 1969 über 200 Studentinnen der Universität Tübingen nach einem Vortrag von Ulrike Meinhof mit dem Titel „Die Befreiung der Frau“ das Clubhaus gestürmt und den „Arbeitskreis Emanzipation“ gegründet hätten. Die erste Tübinger Frauengruppe.

Ulrike Meinhof hegte aber Sympathie für den Aufbruch der Frauen. Als Helke Sander vom Berliner „Aktionsrat zur Befreiung der Frau“, im Herbst 1968 auf der Delegiertenkonferenz des SDS in Frankfurt ihre berühmte Brandrede hielt und anschließend die Tomaten auf die Genossen flogen, zollte Ulrike Meinhof dieser Aktion in der konkret offenen Beifall: „Diese Frauen wollen nicht mehr mitspielen. Sie haben klargestellt, daß die Unvereinbarkeit von Kinderaufzucht und außerhäuslicher Arbeit nicht ihr persönliches Versagen ist, sondern die Sache der Gesellschaft, die die Unvereinbarkeit gestiftet hat. Als die Männer darauf nicht eingehen wollten, kriegten sie die Tomaten an den Kopf, damit Argumente mal zum Zug kommen und nicht nur die Überlegenheit des Mannes aufgrund seiner gesellschaftlich überlegenen Stellung“.

Als die Tomaten auf die Genossen flogen

Damals lebte Ulrike Meinhof bereits in Scheidung und mit ihren beiden Töchtern in Berlin. Sie fand sich in der schwierigen Situation einer berufstätigen alleinerziehenden Mutter wieder: „Also ist das Problem aller politisch arbeitenden Frauen, mein eigenes inklusive, dieses, daß sie auf der einen Seite gesellschaftlich notwendige Arbeit machen, daß sie den Kopf voll richtiger Sachen haben, daß sie eventuell auch wirklich reden und schreiben und agitieren können, aber auf der anderen Seite mit ihren Kindern genauso hilflos dasitzen wie alle anderen Frauen auch.“

Aber ganz so hilflos, wie Ulrike Meinhof sich in diesem Interview Ende 1969 gab, war sie nicht. Sie konnte sich, anderes als viele Frauen, immerhin ein Kindermädchen leisten: Sabine Zurmühl, Jahrgang 1947, die später als Mitgründerin der feministischen Zeitschrift Courage und Journalistin bekannt wurde. Für die damals 21jährige Studentin war Ulrike Meinhof nicht nur in der „Frauenfrage“ eine Art Mentorin. Denn: „Sie war eine von denen, die neue Verhältnisse wie ein Seismograph erspürt haben, obwohl es noch kein Umfeld dafür gab. Sie hat aus sich heraus aufgespürt und benannt, wo Frauen überall praktisch betrogen wurden und wo auf ihrer Würde herumgetrampelt wurde. Darin ist sie für mich eine Pionierin. Und dafür bewundere ich sie heute noch.“

In jenen Jahren arbeitete Ulrike Meinhof auch an ihrem Spielfilmprojekt „Bambule“: eine Geschichte vom Überleben und Aufbegehren in einem geschlossenen Mädchenheim. In mehreren Hörfunk-Features hatte sie sich bereits mit den repressiven, autoritären Strukturen staatlicher Fürsorgeerziehung auseinandergesetzt. Und zwar am Beispiel von internierten Mädchen und jungen Frauen. Sie fühlte sich ihnen über ihr journalistisches Interesse hinaus verpflichtet, gab einen Teil ihres Honorars ab, nahm Trebegängerinnen in ihrer Wohnung auf und versuchte, Mädchen aus dem Heim zu holen und in Familien unterzubringen. Eine dieser jungen Frauen war Irene Goergens. Sie war siebzehn als sie Ulrike Meinhof zum ersten Mal begegnete, und saß bereits seit ihrem 12. Lebensjahr wegen „Verwahrlosung dritten Grades“ in geschlossenen Heimen. Ihre Geschichte gab die Vorlage ab für „Bambule“.

Meinhofs Film „Bambule“ kam in den Giftschrank

Ulrike Meinhof habe ziemlich viel Aufhebens um die Heimmädchen gemacht, erzählt Sabine Zurmühl: „Das war war ja damals auch so ein Trend der Linken, Leute aus proletarischen oder schwierigen Verhältnissen zu besonders wertvollen Menschen umzustilisieren.“ Sie sei von ihnen fasziniert und verwirrt, herausgefordert und überfordert zugleich gewesen. „Sie hat damals auch erzählt, daß einige Mädchen lesbisch waren, und es war irgendwie klar, daß das für sie eine Faszination hatte. Ich lebe schon viele Jahre in Frauenbeziehungen und denke heute, daß sie auch noch einen anderen Zugang zu Frauen hatte. Ob sie das gelebt hat oder nicht. Aber ich weiß aus eigener Erfahrung, daß Frauen, die eine lesbische Neigung haben, oft eine andere Freiheit ausstrahlen. Und die hat Ulrike auch ausgestrahlt.“

Tatsächlich nimmt sich „Bambule“ dem Thema lesbischer Beziehungen in einer für die damalige Zeit offenen und selbstverständlichen Weise an. Und auch sonst hätte der Film die Gemüter der bundesdeutschen FernsehzuschauerInnen bestimmt erregt. Aber soweit kam es nicht. Der Südwestfunk nahm ihn im Mai 1970 kurzerhand aus dem Programm, denn Ulrike Meinhof wurde da bereits gesucht. Wegen Beteiligung an der Befreiung von Andreas Baader. „Bambule“ wurde erst 1994 aus dem Giftschrank geholt.

Im Zusammenhang mit der Baader-Befreiung standen auch eine Handvoll sehr junger Frauen auf der Fahndungsliste, darunter die inzwischen auf Bewährung aus dem Heim entlassene Irene Goergens. Sie wurde schon bald verhaftet und zu sieben Jahren Gefängnis verurteilt. „Weibliche Tupamaro- Twens“ schrieb die Welt am Sonntag damals. Die Kölnische Rundschau titelte „Ulrike und ihre Amazonen-Garde“ und fragte: „Kommt eine neue Zeit der Flintenweiber“? Oder handelte es sich hier womöglich um einen „Exzeß der Befreiung der Frau“, wie nicht nur der damalige Bundesinnenminister Günter Nollau befürchtete.

Daß Frauen aus sozialer Notwendigkeit zur Waffe greifen und dabei sich selbst gleich mitbefreien, hat später viele Feministinnen überzeugt. Wir dachten dabei allerdings kaum an die RAF. Unsere Begeisterung galt den Guerilleras der Befreiungsbewegungen in Lateinamerika oder Afrika.

In den siebziger Jahren, als die RAF-Hysterie auf ihrem Höhepunkt war, der staatliche Antiterror wütete und die Auseinandersetzungen um Stammheim die gesamte Linke zermürbte, gab es auch in der Frauenbewegung explosive Diskussionen. Sabine Zurmühl erinnert sich an Redaktionssitzungen in der Courage, auf denen „aufs Hauen und Stechen“ um die Veröffentlichung von RAF- Texten zu Knast und Isolationsfolter gekämpft wurde. Viele Frauen, die mit der RAF nichts zu tun haben wollten, hätten Ulrike Meinhof trotzdem so lange die Treue gehalten, „weil wir die anderen Sachen, die sie geschrieben und gemacht hatte, auch retten wollten.“ Als Journalistin sei Ulrike Meinhof für sie ein Vorbild gewesen, sagt Sabine Zurmühl. „Aber als RAF-Mitglied tat sie mir wahnsinnig leid. Und ich kann mir das bis heute nur damit erklären, daß sie so ein solidarischer Mensch war, der sich nicht mehr aus diesem Kreis lösen konnte.“

„Ulrike Meinhof hat Grenzen überschritten, die ich mich nicht traute zu überschreiten, weil da bei mir doch ein bürgerlicher Sicherheitsriegel vorgeschoben war“, sagt Christine Weinbörner. Sie ist Frauenbeauftragte der Stadt Krefeld, und ich lernte sie während einer Interviewreihe zu feministischen Werdegängen in Ost und West kennen. Beim Thema Vorbilder kam sie auch auf Ulrike Meinhof zu sprechen – „meine innere große Schwester“, wie sie sie damals nannte. Was beinahe einem Geständnis gleichkam und mich zunächst erstaunte, bei ihrer Biographie: Jahrgang 1950, Pfarrerstochter, Sozialarbeiterin, Mitgründerin der Grünen.

„Sie hat gelebt, was sie gepredigt hat“

Aber, erklärte sie: „Ich habe eben 18 Jahre lang erlebt, daß das, was von der Kanzel gepredigt wird, nicht das ist, was zu Hause gelebt wird. Das war ein riesiger Widerspruch. Und bei Ulrike Meinhof hatte ich den Eindruck, daß sie das, was sie ,predigt‘, auch lebt. Und daran ist sie vielleicht kaputtgegangen.“ In den siebziger Jahren, als alle friedlichen Wege in der Sackgasse enden zu schienen, habe sie diese Schritte in die Gewalt aus der Distanz „wohlwollend beobachtet“, erzählt Christine Weinbörner. Später sei sie froh über die Gründung der Grünen gewesen: „Da bekam der politische Unmut ein Ventil und eine andere Richtung. Denn sonst wären vielleicht noch mehr Leute in den Widerstand und in die Gewalt abgeglitten.“

Auch unter ostdeutschen Feministinnen gibt es Meinhof-Verehrerinnen: „In der DDR haben wir eigentlich keine Informationen über sie bekommen. Trotzdem war sie mir ein Begriff, und ich würde sie in einer Reihe nennen mit Tamara Bunke oder Jenny Marx, mit Frauen also, die für mich Vorbilder waren, als ich anfing, politisch aufzuwachen und nach Orientierung zu suchen.“ Christina Karstädt, Filmdramaturgin, Jahrgang 1963, wuchs auf in einer Offiziersfamilie fernab westlicher Einflüsse, von der DDR und ihrem Sozialismus fest überzeugt bis zum Abitur. In ihrem späteren Abnabelungsprozeß von den falschen Idealen ihrer Kindheit und Jugend habe sie sich Ulrike Meinhof stark verbunden gefühlt. „Allerdings habe ich dabei keinen linksradikalen, sondern einen feministischen Weg für mich gefunden“, erklärt sie.

Auch ostdeutsche Feministinnen verehren sie

Fünf Jahre nach der Wende brachte Christina Karstädt mit einer Frauentheatergruppe eine szenische Lesung mit Texten von und über Ulrike Meinhof auf die Bühne. Eine Hommage vor allem an die Journalistin, nicht an die RAF-Frau. Die Premiere fand am 7. Oktober 1994, anläßlich des sechzigsten Geburtstags der Geehrten, im Kulturhaus des Ostberliner Bezirks Weißensee statt. Was die örtliche CDU zu der erregten Anfrage veranlaßte, wer dafür verantwortlich sei, daß „in den Räumen des Landes Berlin einer Terroristin posthum ein Podium geboten wurde“.

Ulrike Meinhof war da bereits achtzehn Jahre tot.

Wenn man so will, ist das die zentrale Unterdrückung der Frau, daß man ihr Privatleben als Privatleben in Gegensatz stellt zu irgendeinem politischen Leben. Wobei man umgekehrt sagen kann, daß da, wo politische Arbeit nicht etwas zu tun hat mit dem Privatleben, da stimmt sie nicht.

(Ulrike Meinhof 1969)

Radiotips: Sonntag, 5. Mai, 17.35–18.35 Uhr „Sie war mir nah wie eine große Schwester“ – Ulrike Meinhof und die Frauen. Saarländischer Rundfunk, 2. Programm

Montag, 6. Mai, 19.05–19.30 Uhr: „Eine andere Freiheit“ – Begegnungen mit Ulrike Meinhof. SFB III Kulturtermin.

Dienstag, 7. Mai, 19.15–20.00 Uhr: „Sie war mir nah wie eine große Schwester“, DeutschlandRadio Köln.

Alle Beiträge von Ulrike Helwerth.