Ein Russe ist Russe, kein Lette

■ Wie ein in Riga geborener und aufgewachsener Mann sich in die Fallstricke der Bürokratien von drei Ländern verwickelte

Berlin (taz) – Ein Flüchtling aus Lettland darf in Deutschland nicht heiraten, weil seine Eltern Russen sind. Begriffen? Der Förderverein Niedersächsischer Flüchtlingsrat hat es jedenfalls nicht. „Wir sind entsetzt“, schreibt er, „daß das Oberlandesgericht Hamburg die völkische Argumentation der Republik Lettland nachvollzieht.“ Es soll dem Mann endlich einen „Ausweis nach dem Staatenlosenabkommen ausstellen, um ihm die Heirat nach monatelanger Wartezeit doch noch zu ermöglichen.“ Diese Geschichte zeigt, zu welch absurden Folgen das lettische Staatsbürgergesetz führt, wenn deutsche Gerichte es interpretieren. Demnach ist er nämlich Russe, obwohl er niemals auch nur einen Fuß nach Rußland gesetzt hatte.

Denn Wladimir J., heute 44 Jahre alt, ist in der lettischen Hauptstadt Riga geboren und lebte dort ununterbrochen 37 Jahre lang. Nach diversen Konflikten mit dem KGB flüchtete er 1989 nach Deutschland und beantragte hier – allerdings vergeblich – Asyl. Er erhielt eine „Duldung“, und das ging so lange gut, bis der Mann seine deutsche Freundin heiraten wollte. Für das Aufgebot braucht man nämlich einen Paß sowie eine Ledigkeitsbescheinigung, und beides konnte Wladimir J. nicht vorweisen.

Denn inzwischen war der baltische Staat unabhängig geworden und hatte sich 1994 ein Staatsbürgergesetz verordnet, das der über 40 Jahre langen und schleichenden Russifizierung einen Riegel vorschieben soll. Lettische Staatsbürger können nur die Personen sein, die die lettische Staatsbürgerschaft schon vor der sowjetischen Annektion am 17. Juni 1940 hatten oder deren Nachkommen, schrieb ihm die Botschaft aus Bonn. Als Kind von Eltern mit einer russischen Volkszugehörigkeit sei Wladimir J. mit dem Untergang der Sowjetunion staatenlos geworden. Und einem Staatenlosen könne die Republik Lettland leider weder einen Paß noch eine Ledigkeitsbescheinigung ausstellen.

Nach dieser Rechtsbelehrung versuchte sich Wladimir J. im vergangenen Sommer in Lettland neu einbürgern zu lassen. Ebenfalls ein vergebliches Unterfangen. Die Botschaft schrieb ihm, dies ginge leider ebenfalls nicht, weil er sich seit 1989 in Deutschland befinde. Grundbedingung für eine Einbürgerung sei ein ständiger Wohnsitz in Lettland, mindestens fünf Jahre lang und gerechnet ab der Unabhängigkeitserklärung im Mai 1990.

Trotz all dieser Ablehnungsbescheide nahm sich Wladimir J. keinen Strick, sondern hoffte, beim Oberlandesgericht Hamburg Verständnis zu finden. Weit gefehlt. Jenseits aller politischen Realitäten fällte es am 11. März 1996 den Spruch, Wladimir J. sei „auf keinen Fall als Staatenloser zu behandeln“, wie es die lettische Botschaft irrtümlich behauptet. Seine Eltern seien Russen, also sei dies auch für ihn anzunehmen. Er solle sich deshalb beim Generalkonsulat der Russischen Föderation um einen Reisepaß „bemühen“ und beim Standesamt in Riga um eine Ledigkeitsbescheinigung.

Die taz hörte jetzt vom Generalkonsulat in Hamburg, daß Wladimir J. von ihnen ganz bestimmt keinen Reisepaß erhalten wird: „Verstehen Sie, er lebt doch in Deutschland.“ Und das für Einwanderung zuständige Ministerium des Inneren in Riga ließ erklären, um eine Ledigkeitsbescheinung müsse er sich „hier schon persönlich“ bemühen. Da gibt es jetzt ein Problem: Wladimir J. besitzt keinen Reisepaß. Anita Kugler