: Die neue Heimat?
■ Der FC St. Pauli trägt das Derby im Volksparkstadion aus / Richtig schlimm findet das eigentlich niemand mehr
Die Aufregung hält sich in Grenzen, der Tenor ist versöhnlich. Es gebe Angenehmeres, als im Volksparkstadion zu spielen, ist vom FC St. Pauli zu hören, aber man müsse doch auch sehen, daß der Verein arm sei, eine Bundesligamannschaft teuer in der Unterhaltung – deshalb hätte man keine andere Wahl. In dieser Analyse sind sich rund ums Wilhelm-Koch-Stadion alle einig – vom Präsidenten bis zu den Fan-Beauftragten. Das Hinzpetersche Geschäftsführer-Diktum „Profifußball ist die reinste Form des Kapitalismus, aber auch wir müssen uns damit arrangieren“, ist zum neuen Glaubensbekenntnis am Millerntor geworden.
Der gestrige Mopo-Aufruf von Präsident Heinz Weisener, das „Lamentieren und Jammern“ einzustellen und statt dessen „nach vorne zu blicken“, war deshalb eigentlich nicht mehr notwendig. Niemand leidet ernsthaft darunter, in Stellingen spielen zu müssen, das Bier muß man halt vorher trinken oder sich sonstwie geschickt proviantieren – einfallsreich sind die St.-Pauli-Fans ja. Dafür lohnt es sich umso mehr, in die nähere Zukunft des FC zu schauen.
Für diese gerüstet zu sein, bedarf es beim Stadtteilverein noch einiger Veränderungen. „Wir müssen professioneller werden“, erklärt Geschäftsführer Christian Hinzpeter schon seit einigen Jahren immer und immer wieder, und auch, „daß wir ein neues Stadion brauchen, um zu überleben“.
Beim Ausbau des Millerntors scheint es keine Eile zu geben
Das Wilhelm-Koch-Stadion ist ja bekanntermaßen nicht mehr auf dem neuesten technischen Stand, den Sportstätten heutzutage erfüllen können. Über anderthalb Millionen Mark steckt der Verein pro Jahr in die liebgewordene Bruchbude, damit nicht alles auseinanderfällt. Hinzu kommen noch die Einnahmeverluste, weil nur fast 21.000 Zuschauer reingehen. Ein ausverkauftes Volksparkstadion bringt hingegen eine Bruttoeinnahme von rund anderthalb Millionen Mark, am Millerntor ist nicht einmal ein Drittel dieser Summe drin.
Die Zeit, die auch Geld sein soll, drängt also, doch die Verantwortlichen wollen sich – so scheint es – nicht hetzen lassen. Auf die Pläne für den Stadionausbau angesprochen, wird selbst der sonst so eloquente Hinzpeter plötzlich mundfaul. Konkretes ist dem 42jährigen ebenso wenig zu entlocken, wie dem zuständigen Architekten Reinhard Kock. Der hatte jüngst auf taz-Nachfrage einen Baubeginn in der Winterpause der Saison 1996/96 nicht bestätigen wollen, einen Termin, den Papa Heinz in seiner Januar-Medienoffensive ins Gespräch gebracht hatte.
Doch daran glaubt inzwischen niemand mehr, das moderne Millerntor-Rund für 30.000 Zuschauer wird wohl noch länger auf sich warten lassen.
Am Volkspark geplante Arena übermächtige Konkurrenz?
Denn mit der geplanten und vom Senat auf den Weg gebrachten 50.000er-Arena am Volkspark – schon wieder Stellingen – ist dem FC eine anscheinend übermächtige Konkurrenz erwachsen. Es kommen ja nicht jeden Tag Tina Turner und Joe Cocker nach Hamburg, als daß die Stadt zwei Riesenarenen ohne weiteres vertrüge. Doch das, so heißt es beim FC St. Pauli, sei nicht das Problem: Man werde schon eine Nische finden und entsprechende nicht-sportliche Veranstaltungen, die zusätzliches Geld bringen sollen, nach St. Pauli holen können.
Doch weshalb kommt der Ausbau – Kosten bis zu 50 Millionen Mark – nicht in die Hufe, zu dem bereits die Fans und die Stadt ihr prinzipielles Okay gegeben haben? Es ist „die Finanzierung“, nennt Hinzpeter als Grund, weshalb von Vereinsseite aus Gespräche mit dem Bezirksamt Mitte bis auf weiteres gestoppt wurden. Eine merkwürdige Argumentation. Wenn genug Veranstaltungen vorhanden sind, daß sich zwei Großstadien tragen und wirtschaftlich rechnen würden, warum gibt es dann keine Finanziers? Oder sind die Pläne still und heimlich gekippt worden?
Neue Heimat Volkspark? Man kann sich ja an alles gewöhnen.
Clemens Gerlach
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