Doch nicht Gott

■ Ehrenamtliche Sozialarbeit für den Staat oder anti-rassistische Flüchtlingsarbeit: Ein Tag im Café Exil Von Ulrike Winkelmann

Wie David und Goliath stehen sich das Café Exil und die Ausländerbehörde gegenüber, südlich des Hauptbahnhofs, am Klostertor. Hier, in einem schaurig-schönen Ensemble aus rudimentärem Altbau-Wohnungsbestand, postmodernen Versicherungsklötzen und vor allem ganz viel dichtbefahrenem Asphalt, hier, wo sich die Frage „Wieviel organisches Leben darf in der Stadt noch vorkommen?“ ganz neu stellt, hier, im Erdgeschoß eines Gründerzeitbaus an der Nordkanal-Straßenbrücke ist das Café untergebracht; jenseits der Betonbrücke ragt das 90er-Jahre-Backsteinschiff der Ausländerbehörde über die Amsinckstraße.

Die „ExilantInnen“ kochen Kaffee, bieten Beratung, Telefon, Vermittlung zu kompetenten Auskunftsstellen. Ihre Kundschaft sind solche, die sich in der Ausländerbehörde die Beine in den Bauch gestanden haben, die von genervten Beamten mit Formularen bombardiert worden sind, die sich mit unverständlichen Vorschriften haben überschütten lassen müssen. Das Café soll eine Anlauf- und Auffangstelle sein für Flüchtlinge, Asylsuchende und andere Nicht-Deutsche, die drüben gegen Mauern gerannt sind.

Nicht, daß die BetreiberInnen des Exil jeden Morgen die Zwille auf die rot-gelbe, spitzgesichtige Fassade auf der anderen Straßenseite anlegen würden. Auch das tagtägliche Fäusteschütteln verkneifen sie sich. Flüchtlinge kommen zumeist aus Ländern, wo sie schlechte Erfahrungen mit politischen Gruppen jeder Couleur machen mußten. Deshalb soll das Café seriös wirken und nicht umstürzlerisch. „Manche Problemfälle werden von der Behörde inzwischen hier rüber geschickt“, schildert Doro von der Freitags-Schicht die Ambivalenz ihres Engagements: „Wir machen für den Staat ehrenamtliche Sozialarbeit.“

Kein Grund aufzuhören. Es war mühsam genug, das Projekt ins Rollen zu bringen. Monatelang waren die Leute, die zugesagt hatten, eine Tagesschicht zu übernehmen, in ihren „politischen Zusammenhängen“ herumgerannt und hatten Geld- und Sachspenden eingeworben. Aber auch andere Quellen taten sich auf: „Die Stühle und Tische sind, glaub' ich, altes Kantinenmobiliar von IBM“, meint Doro. Die Bilder an den Wänden – assoziativ: Strandgut – kommen aus dem Fotoarchiv, das vergangenen November in der Roten Flora verbrannt ist.

Zu den Gruppen, die das Café tragen, gehören die Vereinigung der Verfolgten des Naziregimes (VVN), die WoGe, die Jugendwohnungen betreut, die „Gesellschaft zur Unterstützung von Gefolterten und Verfolgten“ und einige andere – fünfzig Leute insgesamt, schätzt Doro.

Allison ist „unorganisiert“, wohnt gleich um die Ecke, spricht fließend drei Sprachen und wollte „eigentlich bloß übersetzen“ – klemmte sich dann aber in die Freitags-Schicht und hat um 7.30 Uhr morgens, als Doro eintrudelt und auf den HVV schimpft, schon Kaffee gekocht. Die ersten Gäste des Tages sind merkwürdig. Manche kommen und verschwinden grußlos, andere wollen um halb neun morgens Bier. Manche meinen offenbar, sie hätten Anspruch auf perfekten Service.

Die meisten, die von drüben herüberkommen, sind höflicher, bestellen einen Kaffee und müssen mal eben fix telefonieren; einer braucht sofort einen Notar für eine eidesstattliche Erklärung. Ein Mann aus dem Tschad zeigt Allison seine Ausweisung: Bekommt er nun sein Flugticket extra oder muß er selbst dafür sorgen, sich abzuschieben? Gute Frage, Allison muß ihn an eine Anwältin verweisen.

Das Haupthindernis in der anti-rassistischen Flüchtlingsarbeit sind die Tücken des Ausländerrechts – im Café Exil hängt ein Diagramm „Asylverfahrensablauf in Hamburg“ und eine übersichtliche Tabelle „Aufenthaltstitel und Duldung“. Wer weiß denn schon, daß es sieben verschiedene Aufenthaltstitel gibt, gestaffelt nach Rechten und Dauer des Aufenthalts? Befristete und unbefristete Aufenthaltserlaubnis, -berechtigung, -bewilligung, -befugnis, die Duldung und zuletzt die Aufenthaltsgestattung für Asylbewerber, die gerade ins Land gekommen sind.

„Und selbst wenn wir begriffen haben, was der Rechtsstatus eines Flüchtlings ist, heißt das noch lange nicht, daß wir das auch ihm begreiflich machen können“, erzählt Doro. Die Leute, die hierher kommen, geraten in die Behördenmaschinerie, wo alles von Zetteln und Fristen abhängt. „So oft verdaddeln die Leute ihre Fristen und können nicht einsehen, daß sie das aus dem Verfahren rausgekickt hat.“

In diesem Sinne sei die Behördenlogik „eurozentrisch“: „Die Menschen kommen oft aus einem Kulturkreis, wo zum Beispiel korrekte Kalenderdaten gar keine Rolle spielen“ – deshalb sind ja auch so viele am 1. 1. geboren. Die Angaben, die Migrierte oder Flüchtlinge dann ihrem Sachbearbeiter machen, kommen bei diesem oft als Lügen an. Der Kampf um die Asyl-Anerkennung ist vor allem ein Kampf um Glaubwürdigkeit.

„Die Schicksale der Menschen passen nicht in die Rechtsnormen“, sagt Doro; die Behörde löse das Dilemma, indem sie den Menschen ihre Vertrauenswürdigkeit von vornherein abspreche: „Neulich kam eine Frau mit einem Formular zur Beantragung eines Passes hierher, wo die Sachbearbeiterin schon in alle Leerstellen 'angeblich' eingesetzt hatte.“

Auch bei der Anhörung, der einzigen Chance, die Asylsuchende haben, den eigenen Leidensweg zu präsentieren, „wird unterstellt, daß du lügst“, weiß Doro, „statt zu gucken, wo die persönliche Wahrheit liegt.“ Sie selbst hat keine Lust, „zwischen guten und bösen Ausländern zu unterscheiden, zwischen wahren und falschen Lebensgeschichten – ich bin doch nicht Gott“.

Es ist Mittag. Freitags schließt die Ausländerbehörde um 12 Uhr. Pedro Abraham, aber das ist sein Künstlername, sagt er, hat heute morgen drüben wieder einmal um seine Papiere gekämpft. „In meiner Heimat gibt's das gar nicht – Papiere“, sagt er verächtlich, und daß es bei ihm aber auch nicht so drauf ankomme, er würde seine Zeit vor allem damit verbringen, andere Leute in den Gängen der Behörde zu beraten.

Ist ja löblich, aber er redet auch ein bißchen viel. Offenbar will er bis um eins, wenn das Café zumacht, treu bleiben. Ein Intellektueller sei er, verrät er, und „von Natur aus multikulturell“. Als Allison ihn endlich hinauskomplimentiert hat, rollt sie mit den Augen: „Jedesmal ist einer dabei, der nur labern will, und es ist ihm scheißegal, ob es dich interessiert. Und es ist immer ein Mann.“

Doro macht derweil Kassensturz. Mit den paar Mark, die für den Kaffee reinkommen, kann gerade mal die Stromrechnung bezahlt werden; die Miete wird aus Spenden finanziert. Allison rückt die Ex-Kantinen-Stühle gerade.

Als wir gehen, läßt sich in dem Raum mit der Jugendzimmer-Sitzgruppe in den Achtziger-Modefarben wieder der Charme nieder, wie ihn türkische Kulturvereine haben.