Frühstück bei Mitternacht

■ Der Rembertiring ist nicht gerade die Via Dolorosa. Trotzdem beginnt Italien hier – die Pasticceria von „buccini“ macht's möglich.

Der Rembertiring ist nicht gerade die Via Dolorosa. Trotzdem gibt es keinen Platz, der italienischer wäre. Nicht in Bremen, ja nicht einmal in der ganzen Republik. Wer diesen Platz sucht, sollte auf Höhe der Rembertistraße nach einem Namenszug an Fenster und Türen Ausschau halten: vorne ein blaues b, hinten ein i, dazwischen ein Bogen voller Lässigkeit. Nicht unbedingt leserlich, aber so beherzt schwungvoll, daß man einfach hineingehen muß in die „Caffè-Bar Pasticceria“ von Gianni Buccini.

Noch bevor man die Tür aufgestoßen hat, wird die Suche belohnt. Als erstes nimmt man den Geruch wahr, den warmen Duft von Frischgebackenem, von Blätterteig, krossen Cornetti und köstlichen Kuchen. Du schnüffelst Coffein in seiner reinsten Form, Espresso, Cappuccino, Caffè alla Crema. Dazu die Geräusche: das Gurgeln und Zischen der Espressomaschine zieht dich wie ein Sog hinein. Das leise Klappern von Glasschalen, die Geschwätzigkeit am Tresen, das Gemurmel der Gäste, das Rascheln der Zeitungen. Ein Tanz der Töne, der dich wohlig aufnimmt. Bescheiden hintergründig, wirksam wie eine beruhigende Musik. Ein fragiles Kunstwerk aus dem Stoff der Beiläufigkeit.

Anders die Kuchentheke, die stark an einen Altar zum Erntedankfest erinnert. Die Augen sehen Gebirge aus Gebäck, goldgelb, bestäubt mit süßem Puderzucker, überzogen mit Schokoladensoße, gefüllt mit kandierten Früchten und Ricotta. Sfogliatelle, Profiterol, schon die Namen schmecken nach Urlaub. Ein Stück weiter die herzhaften ofenfrischen Minipizzen und die Focaccia, gefüllt mit Mozarella, frischen Tomaten, Schinken und Käse. Noch einen Augenblick weiter die Theke mit original italienischem Eis. Und da, die Torten und Törtchen, sahnige Kunst der Verführung.

„Prego, la Signora“, weckt dich eine Stimme aus dem Taumel der Sinne. Jetzt mußt du dich entscheiden. Für eine Focaccia mit einem Dolcetto d–Alba oder für einen Profiterol mit Cappuccino? Der freundliche junge Mann scheint diesen unentschlossenenen Ausdruck in den Augen seines Gegenübers zu kennen. Er lächelt mitfühlend: Vielleicht erstmal einen leckeren Cappuccino und alles andere später, heißt sein Vorschlag. Wundervoll. Du nimmst Platz in einem der pistazienfarbenen Stühle, die dich auf dem kürzesten Weg nach Italien katapultieren.

Seit über 20 Jahren lebt Gianni Buccini in Bremen. Er ist Italiener und Gastronom, von der Zehenspitze bis zur Baseballkappe. Auf der steht „La Bottega“, die ebenfalls zu Giannis Unternehmungen gehört. Freilich ist auch die Kneipe im Fedelhören italienisch. Aber eben doch nicht so perfekt wie die Caffè-Bar, mit deren Eröffnung sich Gianni vor einem Jahr einen ewigen Traum erfüllte. Schon immer, sagt er, habe er eine typisch italienische Bar in Bremen aufbauen wollen, „das ist ein ein alter Tick von mir“.

Am Rembertiring ist alles original italienisch. Angefangen bei den MitarbeiterInnen über die Maschinen, Rezepte und Zutaten bis hin zur Innenarchitektur der Bar. Für diese zeichnet Nina Virus verantwortlich, die in Rom studierte und folglich weiß, wie es in einer guten Bar auszusehen hat. Und so ist Gianni, der zuweilen anderer Meinung war als sie, heute froh darüber, daß sie sich mit ihrem sanguinischen Temperament durchgesetzt hat. Allein die Stühle sind, ökonomisch gedacht, etwas groß geraten, behält er sich das letzte Wort vor. Aber was soll's, winkt er ab. Schließlich ist ihm, Ökonomie hin oder her, das Ambiente der Bar wichtiger.

Darauf achtet der sonst so lässige Gianni geradezu peinlich genau und ist dabei ausgesprochen wählerisch. Sieben eigens aus Italien importierte Bäcker mußten bereits wieder nach Hause reisen. Aber der jetzige, schwört Gianni, der hat's drauf. „Rafael, er ist Neapolitaner“, ergänzt er, als wäre das eine besondere Auszeichnung. Einen deutschen Küchenchef für seine Bar anzuheuern, käme dem 46jährigen nicht in den Sinn. Zum italienischen Essen, also auch zur Herstellung, gehöre nun mal jenes bestimmte Lebensgefühl: „Die Italiener sind sprunghaft, nicht gerade linear.“

Jeden Morgen um vier Uhr springt Rafael in die Küche unterhalb der Bar. Drei Stunden hat er Zeit, um im „Labor“, wie sein Chef sagt, die verschiedensten Teigsorten anzusetzen und Füllungen vorzubereiten. Schon um punkt sieben Uhr kommen die ersten Gäste zum Colazione All'Italiana, zum italienischen Frühstück. Dann müssen die Cornetti und Pizzettes fertig sein. Danach wird weiter frisch produziert bis abends um 23 Uhr. Wer allerdings ein Ei zum (Mitternachts-)Frühstück möchte, Schinken- und Käseplatten, Marmeladensortimente oder gar Müsli, der ist bei „buccini“ falsch. Ein deutsches, englisches oder amerikanisches Frühstück wird es hier nicht geben. „Entweder man zieht das durch oder läßt es gleich“, erklärt Gianni.

Das wissen die italienischen Gäste zu schätzen. Ganze Familien kommen sonntags nach dem Kirchgang hierher und an der Theke tummeln sich aufgeregte Ragazzi. Befriedigt nimmt Gianni zur Kenntnis, daß sich immer mehr Deutsche für die Bar, für dieses Stück italienischer Lebensart begeistern. Es wird zur Gewohnheit, zu „Buccini“ zu gehen, und dort je nach Zeit zu verweilen, oder auch romanisch kurz einen Kaffee am Tresen zu trinken.

Das hat der erfahrene Gastronom schon lange vorausgesehen. „Ich wollte dieses Caffè machen, weil ich die Bremer kenne“, sagt er. Er habe gewußt, daß es ihnen gefallen würde. Um eine Mission sei es ihm nicht gegangen. Er wolle nicht als Botschafter Italiens fungieren, lacht er und schiebt die Baseballkappe in den Nacken. Plötzlich aber wird er sehr nachdenklich. Ob er ein Stück Heimat herholen wollte? „Ich lebe gern in Deutschland“, versichert er, „und sehr gerne in Bremen. Aber jeder will irgendwann einmal zu seinem Geburtsort zurück.“ Dora Hartmann

Am 25. Mai feiert Gianni das Einjährige seiner Bar. Mit Mitternachtsfrühstück, Musik und Mengen Prosecco.