: Lautlos und undemokratisch
taz-Serie Fusion: Ohne Länderehe schließen Stolpe und Diepgen künftig Staatsverträge ab. Die Opposition ist ohne Einfluß. Den Bezirken droht bei einer Fusion Entmachtung ■ Von Christian Füller
„Über Staatsverträge wird im Ganzen abgestimmt.“ Da ist Paragraph 33 kompromißlos. Die Geschäftsordnung des Berliner Abgeordnetenhauses läßt den Volksvertretern die Alternative: ja oder nein. Disputiert wird nicht über Staatsverträge. Die Regierenden handeln sie aus, das Parlament darf nicken oder njet sagen. Wenn die Länderfusion scheitert, wird es viele Lebensbereiche geben, die Brandenburg und Potsdam via Staatsvertrag miteinander abmachen. Ein lautloses und undemokratisches Unterfangen.
Staatsverträge haben Gesetzeskraft. Sie werden gebraucht, weil die Souveränität des Gesetzgebers an der Landesgrenze endet. Soll es eine Regelung diesseits und jenseits der Grenze geben, so muß man mit dem Souverän von drüben übereinkommen – in einem Staatsvertrag.
„Staatsverträge werden im stillen Kämmerlein ausgehandelt“, meint Wolfgang Wieland, grüner Fraktionssprecher im Abgeordnetenhaus. „Sie sind ein Bürokraten- beschäftigungsprogramm, aber sie haben mit Demokratie nichts zu tun.“ Wieland ist ein Rechtskundiger. Er weiß, daß der Regierende Bürgermeister einen Staatsvertrag vor der Unterzeichnung dem Abgeordnetenhaus lediglich „zur Kenntnis“ gibt. Das ist eine juristische Formel, die den Volksvertretern keinerlei Mitbestimmung bietet. Erst wenn der Vertrag unterzeichnet ist, sind Abgeordnetenhaus und der Landtag wieder an der Reihe. „Die Parlamentarier können dann nur sagen: ,Wir schlucken es, oder es ist so schlecht, daß wir es ablehnen‘“, erläutert Roland Haase, der Leiter des wissenschaftlichen Parlamentsdienstes in Berlin.
„Bei der Verabschiedung eines Gesetzes sind die Einwirkungsmöglichkeiten en détail größer“, ergänzt der Jurist Haase nüchtern. In den Ausschüssen kann auch die Opposition Änderungsanträge zu einem Gesetzentwurf stellen. Beim Staatsvertrag bekommt sie keine Schnitte. Während der Regierende gewiß nichts ohne seine Fraktionsvorsteher Rüdiger Landowsky und Volker Liepelt unternimmt, können PDS und Bündnisgrüne nur hoffen. Bekommen sie aus den Senatsverwaltungen rechtzeitig Wind von einem neuen Staatsvertrag, haben sie die Möglichkeit, sich für ihre Vorschläge in einer öffentlichen, außerparlamentarischen Diskussion stark zu machen. Mehr geht nicht.
Ida Schillen ist klar, „daß Staatsverträge undemokratisch sind“. Die Fraktionskollegin von Wolfgang Wieland votiert trotzdem gegen die Fusion. Sie möchte, „daß auch Staatsverträge künftig im Abgeordnetenhaus beraten werden“. Es gibt einen Gemeinsamen Ausschuß der Landesparlamente, der könnte Seit' an Seit' mit den Regierenden die Verhandlungen führen, meint sie. Dem Staatsrechtler Roland Haase ist das nicht geheuer. „Es bestehen gewisse Sachzwänge, die widerstreitenden Interessen zweier Parteien in Einklang zu bringen.“ Im Parlament sei das schwierig. Es könnte zum Beispiel der heikle Fall eintreten, daß der Brandenburger Landtag einen Änderungsvorschlag des Gemeinsamen Ausschusses ablehnt, während die Berliner Abgeordneten fröhlich zustimmen. Wird dann die Entscheidung wieder und wieder vorgelegt, bis Eintracht herrscht?
Ganz anders liegt der Fall bei der Innerberliner kommunalen Demokratie. Die Bezirke, im Vergleich zu den Stadtteilen anderer deutscher Großstädte mit respektablen Beteiligungs- und Kontrollrechten gegenüber der Verwaltung ausgestattet, müssen bei einer Fusion um ihre Kompetenzen fürchten. Der durch eine Länderehe entstehende Magistrat wirkt wie ein politischer Magnet: Er versucht, Aufgaben an sich zu ziehen.
Viele Bezirkspolitiker meinen, daß die ungewöhnlich hohen Einsparsummen (über eine Milliarde Mark), die den Bezirken im Zuge des Nachtragshaushalts auferlegt worden waren, nicht zufällig zustande kamen. „Die Bezirke sollen im Vorfeld einer möglichen Länderfusion platt gemacht werden“, mutmaßten bündnisgrüne Haushaltsexperten. Das Argument scheint stichhaltig. Vor allem gesetzlichen Pflichtleistungen wie der Sozialhilfe wird der gestutzte Bezirksetat nie und nimmer standhalten. Spätestens im Herbst müssen die Bezirkskämmerer bei der Finanzsenatorin betteln gehen, um die berechtigten Ansprüche der BürgerInnen erfüllen zu können. Dann schlüge die Stunde der Hauptverwaltung: Sie wird die vermeintliche Unfähigkeit der Bezirke im Kampf um die Zuständigkeiten nutzen. Motto: Wenn ihr nicht zurechtkommt, wir haben sowieso 4.000 Staatsdiener zuviel. Denn von den rund 6.000 Ministerialen Berlins gingen nämlich nach einer Fusion nur ein Drittel nach Potsdam. Der Rest sucht verzweifelt nach neuen Aufgaben.
Formal sind die Zuständigkeiten geklärt. Der künftige Magistrat soll die gesamtstädtischen Aufgaben übernehmen. „Alle anderen Verwaltungsaufgaben nehmen die Stadtbezirke wahr“, heißt es in Artikel 21 des Staatsvertrages zur Neugliederung. „Letztlich ist es aber eine Machtfrage, wie die Aufgaben verteilt werden“, gesteht der Politologe Hellmut Wollmann von der Humboldt-Universität.
Wollmann schwört auf die historische Eigenständigkeit der Bezirke. Auch habe die laufende Verwaltungsreform den Stadtvierteln mehr Kompetenzen beschert. Aber die politische Wirklichkeit sieht anders aus: In der Verwaltungspraxis sehe er sich tagtäglich mit Überraschungsstrategien des Senats konfrontiert, berichtet der neue Bezirksbürgermeister von Kreuzberg, Frank Schulz (Bündnis 90/Die Grünen).
Schulz und seine Kollegen aus 22 Stadtteilen „sind gebrannte Kinder“, gesteht auch Verwaltungsexperte Wollmann. Zuletzt erhitzten sich die Gemüter, als der Innensenator den Rat der Bürgermeister zur Gemeinsamen Geschäftsordnung (GGO) einholte. Bei der Sitzung stellte sich dann heraus, daß die GGO längst veröffentlicht worden war. Die düpierten Bezirkschefs haben das Vorgehen förmlich mißbilligt. An der GGO, die Zuständigkeiten und Verfahren regelt, ändert das nichts mehr.
Auch die Schaffung des Landesschulamts und der Bäder-GmbH gingen organisatorisch zu Lasten der Bezirke. Die Volksbildungsstadträte wurden dabei zu besseren Hausmeistern degradiert, während in der Storkower Straße eine zentrale Mammutbürokratie entstanden ist, das Landesschulamt. Wenn die Senatsschulverwaltung nach Potsdam zieht, wird das Landesschulamt die erste starke Verwaltungseinheit des neuen Magistrats sein. Anders als auf die Arbeit des Volksbildungsstadtrats hat die Bezirksverordnetenversammlung auf das Schulamt keinen kontrollierenden Zugriff mehr.
Zur Nagelprobe würde es kommen, wenn die Magistratsverfassung ausgearbeitet wird. Laut Vertrag soll dies zwei Jahre vor einer eventuellen Fusion geschehen. Doch bis dahin werden bereits fleißig Paragraphen geschrieben – in den Amtsstuben der Hauptverwaltung. „Da wird man sehr genau aufpassen müssen“, empfiehlt Wolfgang Wieland für den Streit um die neue Rollenverteilung. Sein Parteikollege im Kreuzberger Rathaus, Schulz, will die BürgerInnen zu Mitstreitern machen. Sie sollten sich für bürgernahe und leistungsfähige Bezirke einsetzen. Sonst steht der „in Deutschland einmaligen Form innerstädtischer Dfferenzierung in Bezirke“ (Wollmann) ein „Abbau von kommunaler Demokratie bevor“ (Schulz).
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