: Lupe am Bildschirm
■ Wurde das Bernsteinzimmer entdeckt? n-tv fiel auf einen fingierten Beitrag von "Verstehen Sie Spaß?" herein
Der vermeintliche Scoop war dem Nachrichtensender n-tv noch kurz vor Mitternacht eine Pressemitteilung wert. Hätte sie zugetroffen, wäre die Kunstwelt um eine Sensation reicher gewesen; tatsächlich allerdings beendete schon nach drei Stunden die Polizei die hochfliegenden Träume von der großen Entdeckung.
In Köln, so der Nachrichtensender n-tv am späten Mittwoch abend, seien Teile des Bernsteinzimmers aufgetaucht – jenes legendenumwobenen Kleinods aus versteinertem Harz, das Friedrich Wilhelm I. 1717 Zar Peter dem Großen geschenkt und das deutsche Truppen dann 1942 aus dem Schloß Zarskoje Selo geraubt und nach Königsberg gebracht hatten. Dort, so alle bisherigen Augenzeugenberichte und seriösen Forschungen, ist das Bernsteinzimmer 1944 verbrannt.
n-tv präsentierte seinen ZuschauerInnen an jenem Abend eine andere Version: Teile des Bernsteinzimmers befänden sich im Besitz eines süddeutschen Militariasammlers, der „exklusiv für n-tv“ in Köln zum erstenmal sich selbst und eine einzelne Wandvertäfelung öffentlich gezeigt habe. Daß dieses angebliche Wandpaneel ausgerechnet ins Kopfteil eines Bauernbettes eingelassen war, fiel den Rechercheuren ebenso wenig auf wie die kargen Erklärungen des stolzen Besitzers „Walter H.“ zur Herkunft seines Schatzes: Ein Großonkel habe als Feuerwehrmann in Königsberg gearbeitet. Seine Tante, Gertrud Maslewski, habe nach jahrelangem Rechtsstreit dann ihm das Bernsteinzimmer vererbt.
„Walter H.“ selbst hatte am Maifeiertag neben n-tv auch RTL, den WDR, die Bild-Zeitung und einige lokale Printmedien zu einer Pressekonferenz in Köln eingeladen; nur die beiden Privatsender stiegen aber auf die vermeintliche Sensation ein, boten Geld für Exklusivrechte und berichteten noch am Abend ausführlich. Das ZDF hatte Glück. Der Mainzer Sender hatte – so „Walter H.“ gegenüber der taz – am Feiertag keinen entscheidungsbefugten Redakteur im Studio, beim WDR hatte er nur eine Praktikantin erreicht, die das Bernsteinzimmer nicht kannte.
Während RTL immerhin auf die windigen Umstände der Entdeckung hinwies, fuhr n-tv gleich schweres Geschütz auf und riß damit einen bis dato angesehenen Fachmann gleich mit in den Abgrund der Blamage. Der Kunsthistoriker Prof. Winfried Baer, Direktor der Berliner Schlösser in der Stiftung Preußischer Schlösser und Gärten Berlin-Brandenburg, hatte das Filmmaterial mit der Lupe am Bildschirm analysiert und danach auf dem Sender geurteilt: „Ich glaube nicht, daß das eine Fälschung ist. Was ich gesehen habe, war überzeugend.“ Der Kunsthistoriker wies auch gleich auf die politische Dimension des Fundes hin: „Der Schatz muß auf jeden Fall wieder nach Rußland zurück. Dann besteht auch die Hoffnung, daß Deutschland von dort Kunstwerke zurückbekommt.“
Tatsächlich sind die Teile des in Köln enthüllten Bernsteinreliefs kunstvolle Repliken aus Epoxidharz, die eine Münchner Special- effects-Werkstatt im Auftrag des angeblichen Besitzers nach den originalen Rekonstruktionsvorlagen aus Rußland gegossen hat. Der Besitzer heißt natürlich auch nicht „Walter H.“, sondern Maurice Philip Remy. Zu den Hauptkunden des Münchner Filmproduzenten gehört der Süddeutsche Rundfunk (SDR) mit seiner Sendung „Verstehen Sie Spaß?“, hinter dem Bernstein-Bluff steckte Dieter Hallervordens Sendung. n-tv und RTL fielen also auf dieselbe versteckte Kamera herein, vor der sich schon ungezählte Prominente mehr oder minder freiwillig blamieren durften. „Wir hatten die Idee“, erläutert SDR-Unterhaltungschefin Rieke Müller-Kaltenberg, „endlich auch einmal Institutionen wie das Fernsehen selbst zu verladen. Wir wollten die Sache am Donnerstag morgen auflösen, um keinen Unbeteiligten zu schaden, aber die Polizei war schneller.“ n-tv-Reporter hatten nämlich den Kleintransporter mit den vermeintlichen Bernsteinpaneelen auf dem Weg von Köln nach München verfolgt und auch die Polizei informiert. Ein Sondereinsatzkommando der bayerischen Polizei stoppte das Fahrzeug mitten auf der Autobahn, Beamte mit entsicherten Waffen zwangen den 19jährigen Fahrer der Produktionsfirma zum Aussteigen, beschimpften ihn und sperrten ihn schließlich in eine Zelle. Maurice Philip Remy ist diese Härte unverständlich: „Wir sind völlig friedlich aufgetreten, haben auf der Pressekonferenz so viel absurden Blödsinn erzählt, daß uns außer n-tv und RTL eigentlich niemand wirklich ernst nehmen konnte, und haben sogar unsere Telefonnummern bekanntgegeben, damit niemand glauben sollte, wir würden das Bernsteinzimmer wieder verschwinden lassen.“
Zum endgültigen Nachweis der Fälschung hätte eine simple Methode genügt, die in jedem Lexikon unter dem Stichwort „Bernstein“ zu finden ist und die auch RTL und n-tv hätte bekannt sein können: Wenn Bernstein mit UV- Licht bestrahlt wird, leuchtet er. Epoxidharz kann das nicht. Stefan Koldehoff
„Verstehen Sie Spaß?“, Samstag, 20.15 Uhr, ARD
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