Leise Lust, lautes Lästern

■ Zweimal „Junge Hunde“: „Sieben Herzstücke“ und „Negamorphosen“

Sieben Herzstücke

Schmerzensschreie dringen aus ihrem Mund. Das laute, schrille Trällern wirkt befremdlich. Die Füße trägt sie eng angezogen bei sich, diese Meerjungfrau, die nicht gehen kann. Ingeborg Bachmanns Erzählung Undine geht stand Pate für diese Figur, die Susanne Brian mit packender Intensität verkörpert. Die andere Frauenfigur ist die „Kindfrau“, jung und nach Berührung lechzend: Stina K. Bollmann beginnt deren Darstellung mit einem furiosen Solo, bricht aber bald wieder ab und säuft literweise Mineralwasser, den Blick immer auf die Gegenspielerin gerichtet.

Sieben Herzstücke heißt diese Reibung an zwei Frauentypen der beiden Hamburger Tänzerinnen, die am Freitag auf Kampnagel Premiere hatte. Faszinierend die konzentrierte Stille, die beide beherrschen. Doch das allein reicht nicht: Die Bewegungssequenzen sind zu redundant, das Licht falsch gesetzt, die Figuren nicht unterschiedlich genug in ihrer Impulsivität.

Wenige Szenen sind Höhepunkte, diese jedoch überzeugen. Das witzige Schuh-Solo zum Beispiel, das beide später im Gleichtakt tanzen: Die roten Stiefel, Symbol für die Liebe, scheinen verzaubert wie im Märchen: Einmal übergestreift, verleiten sie die Besitzerin zu wilden Exzessen, die sich keiner menschlichen Anatomie unterwerfen. Die Füße sind plötzlich nicht mehr Herr im eigenen (Körper-) Haus. Die Frau ist nicht mehr Subjekt, wenn die Liebe an ihrem Körper klebt wie ein verwunschener Schuh, der alle gleich macht.

Erlösen können sich die beiden nur gegenseitig: Sie robben aufeinander zu und reißen sich die Schuhe vom Leib. Das Wasser spritzt, die Krücken fallen. Und dann endet das Stück, wo es interessant wird. Es war eben erst ein „play-in-progress“. Gabriele Wittmann

Negamorphosen

Das Hallo geht an alle. Keiner soll ausgeschlossen werden. Also: hallo schwarz, hallo weiß, hallohallo Afrika, wir kommen! Die hessische Damenputzkolonne Mop AG präsentiert die Negamorphosen.

Der Titel – ein verwirrendes Wortspiel. Bedeutet er bissig und politisch unverzeihlich „Negermorphosen“ oder findet sich hier doch eher ein philosophischer Terminus verhackstückt, also die Negation der Metamorphose?

Schon nach kurzem Zuschauen ist die Wischrichtung klar. Hochgenommen wird die weiße Arroganz gegenüber dem schwarzen Kontinent, die schwarze Lust sexuell frustrierter Weißer wird persifliert. Der auf einem schwarzen Laufsteg choreographierte Event im Kampnagel-Foyer ist eine respektlose und ironische Zusammenführung von Textschnipseln aus Tania Blixens Roman Jenseits von Afrika, Reiseerinnerungen der „African Queen“ Katharine Hepburns und Erlebnisberichten von Leni Riefenstahl, gewürzt mit „authentischen“Brigitte-Zitaten und Safariverhaltenstips.

Schwanz- und Titten-dominierte Streetgang-Talks kreuzen sich später mit einer Robert-Redford- oder James-Brown-Persiflage und Sextourismuserlebnissen. Zusammengekehrt mit Funk- und Rap-songs gelang der Gruppe eine originelle klischee-rezitierende Groteske aus Performance, Klamottenschau und Theater.

Britt-Kristin Feldmann