Selbstgezüchtete Mikrobenmonster

■ Antibiotika im Fleisch begünstigen die Entstehung von Krankheitserregern

„Horrorbakterien“ und „Killerstreptokokken“ machen immer wieder Schlagzeilen. Gemeint sind nicht exotische Bakterien, die durch Reisende aus fernen Ländern eingeschleppt werden, sondern altbekannte, längst besiegt geglaubte Krankheitserreger, die mit neuen Eigenschaften wiederkehren. Immer mehr Bakterienstämme werden entdeckt, die gegen eine Vielzahl von Antibiotika unempfindlich geworden sind. Wissenschaftler sprechen von „home grown monsters“. Resistenzen kommen zwar auch natürlicherweise vor, doch erst die vom Menschen geschaffene Allgegenwart von Antibiotika in der Umwelt begünstigt resistente Stämme.

Avoparcin ist ein solches Antibiotikum. Es wird als milchleistungssteigernder und wachstumsfördernder Futtermittelzusatz verwendet. Die Verfütterung an Milchvieh wurde zwar 1995 in der Europäischen Union verboten, doch der Einsatz bei Geflügel, Schweinen, Rindern und Kälbern blieb erlaubt. Seit Januar ist nun in Deutschland ebenso wie in Dänemark und Schweden die Zulassung von Avoparcin als Masthilfsmittel aufgehoben. Der Grund: Neuere Studien lassen Resistenzbildung gegen in der Humanmedizin angewandte Antibiotika befürchten. Solche weitergehende Verbotsregelungen einzelner Mitgliedsstaaten sind allerdings auf sechs Monate befristet. Wird der Einsaz des Antibiotikums in der Tiermast nicht bis Juli EU-weit untersagt, kommt Avoparcin vielleicht bald wieder auch aus deutschen Landen frisch auf den Tisch.

Chemisch ist Avoparcin ein Glycopeptid. Es gehört damit zur gleichen Gruppe wie die in der Humanmedizin wichtigen Medikamente Vancomycin und Teicoplanin. Diese Reserveantibiotika sind häufig die letzte Waffe gegen Erreger, bei denen alle gängigen Mittel versagen. Sie sind zum Beispiel gegen Enterokokken wirksam, die bereits gegen viele andere Medikamente Resistenzen erworben haben. Vor allem Patienten mit geschwächtem Immunsystem sind durch Infektionen mit diesen Darmbakterien gefährdet. Anfang der neunziger Jahre traten in den USA erstmals Vancomycin-resistente Enterokokken auf. Das Bundesinstitut für gesundheitlichen Verbraucherschutz und Veterinärmedizin berichtet jetzt ebenfalls von zunehmenden Resistenzen gegen Glycopeptid-Antibiotika. Solche Keime sind dann durch Medikamente nicht mehr zu beherrschen.

Gefahr droht durch Antibiotikarückstände im Fleisch und durch übertragbare Resistenzgene. Denn was Mikroben einmal erworben haben, geben sie freiwillig an andere weiter: Gene, die für die Widerstandsfähigkeit gegenüber Antibiotika verantwortlich sind, sitzen häufig auf sogenannten Plasmiden, die besonders leicht zwischen Bakterien ausgetauscht werden können.

Die Brüsseler Behörden haben bisher noch nicht reagiert. So bleibt es äußerst fraglich, ob es noch vor der Sommerpause zu einem europaweiten Verbot von Avoparcin kommen wird. Wiebke Rögener