Liebe, Schmerz, Ehrfurcht, Triumph etc.

■ Olympia-Hauptstadt Atlanta protzt nicht nur mit den teuersten Spielen, sondern auch mit einem millionenschweren Kulturprogramm: Masse statt Klasse

Bei Olympiaden geht es um Höchstleistungen, ganz klar. Doch nie zuvor war die Grenze zwischen Großartigkeit und Größenwahn so fließend wie bei den 26. Olympischen Sommerspielen in Atlanta. Nicht nur bei der Planung des sportlichen Teils des 1,7 Milliarden Dollar teuren Mega- Events, sondern auch beim kulturellen Rahmenprogramm. Die Olympia-Organisatoren haben für die 17 Tage im Juli/August 1996 unter der Leitung ihres messianischen Chefs Billy Payne mehr Theater-, Kunst- und Musikveranstaltungen rund um die Spiele gebucht, als sonst im ganzen Jahr in der kulturell unterbelichteten Südstaatenregion stattfinden. Das Angebot reicht von Konzerten des Bayerischen Rundfunk-Synfonieorchesters über Jazz mit Wynton Masalis bis zu Weltpremieren eigens in Auftrag gegebener Bühnenstücke und Tanz vom Royal Thai Ballett.

Das Budget für das Olympische Kunstfestival ist exorbitant: Rund 25 Millionen Dollar sind für die musischen Höchstleistungen veranschlagt, von denen nur etwa sieben Millionen durch Ticketverkäufe gedeckt sind. Doch Geld spielt bei diesen ausschließlich privatwirtschaft finanzierten Spielen in Atlanta offenbar keine Rolle, gilt es doch dem Rest der Welt zu zeigen, daß die Amerikaner einfach die Größten sind. Zum Beispiel mit: „Rings: Five Passions in World Art“, einer 3,2 Millionen Dollar schweren Blockbustershow im High Museum of Art, die Kunstschätze aus aller Welt den fünf Emotionen, „Liebe, Schmerz, Ehrfurcht, Triumph und Freude“ zugeordnet – ein Konzept in angestrengt-geistreicher Anlehnung ans Olympia-Logo mit seinen fünf Ringen. Kurator der Show ist J. Carter Brown, einst flamboyanter Direktor der Washingtoner National Gallery und ein ausgesprochener Fan populistischer Museumsschauen. Seine olympische Gefühlsshow kombiniert bekannte Meisterwerke wie Rodins Kuß, Munchs Schrei und El Grecos Auferstehung mit Masken aus Zaire, altgriechische Terra-Cotta-Vasen und australischen Aborigines- Paintings. Kritiker stempeln die Show wegen der willkürlich-spektakulären Auswahl schon vor ihrer Eröffnung am 4. Juli als „Carters Fünf-Ringe-Zirkus“ ab. Im Olympia-Headquarter in Downtown Atlanta verweist man dagegen stolz auf die guten Vorverkaufszahlen. Nicht nur für die „Rings“. Auch viele Theater- und Musikveranstaltungen sind schon ausverkauft.

Während Sam Shepard, Amerikas pulitzerpreisgekrönter Bühnenautor, immer noch an seinem eigenes für die Kultur-Olympiade geschriebenem Stück „When the World was Green“ (oder „A Chef's Table“, der Titel ändert sich täglich) feilt, bürsten Atlantas Honoratioren schon mal die Smokingjacken für die Weltpremiere am 20. Juli, einen Tag nach der feierlichen Eröffnung der Olympiade. Und auch die Aufführungen von Alfred (Driving-Ms.-Daisy) Uhrys neueste Komödie „The Last Night of Ballyhoo“ sind längst ausverkauft. Insgesamt haben die Olympia-Macher 40 neue Theater- und Orchesterstücke in Auftrag gegeben, die sich zusammen mit den unzähligen Repertoire-Aufführungen zu fast 200 rund zum die Spiele arrangierten Bühnenacts summieren, darunter renommierte Ensembles wie das New Yorker Alvin Ailey Dance Theatre, das Londoner Royal National Theater und Operndiva Jesse Norman.

Natürlich spielt auch political correctness bei der Zusammenstellung des Kulturprogramms eine Rolle. Schließlich findet die Olympiade diesmal in der Geburtsstadt Martin Luther Kings statt. Affirmative Action, Frauenquoten und spezielle Minderheitenprogramme haben die gesamte Organisation der Spiele in Atlanta von Anfang an geprägt und sind auch bei der Kunst ein Muß. Den Besuchern werden Ausstellungen über die Geschichte der Südstaaten, inklusive Sklaverei und „Vom Winde verweht“, über afroamerikanische Künstlerinnen der Gegenwart und über schwarze Folkartisten aus Georgia geboten. Make-up-Multi Avon wiederum setzt ganz auf Frauenpower. Der Kosmetikkonzern sponsort eine große Show über „Die olympische Frau“, ein Mixed-Media-Spektakel zu Ehren der wachsenden Zahl von Sportlerinnen, die an den Weltsportspielen teilnehmen. 1900 in Paris waren das nur ganze 19, in Atlanta werden jetzt 3.700 Athletinnen erwartet.

Den weitaus sichtbarsten kulturellen Beitrag zur Olympiade liefert aber Coca-Cola. Der Brausegigant mit Hauptsitz in Atlanta ist einer der größten Sponsoren der Spiele. Das Recht, mit dem olympischen Ringen zu werben, ist dem Softdrinkhersteller 40 Millionen Dollar wert. Doch damit nicht genug. Die Company schickt 800 ihrer Mitarbeiter als freiwillige Helfer in die Sportstadien. Und Coke schenkt der Stadt und ihren Besuchern zum Sportfest die „Coca- Cola Olympia City“, einen 485.500 Quadratmeter großen Themenpark mit interaktiven Spielen, 15 Meter hohen Colaflaschen und einem Amphitheater mit 800 Sitzen, in dem jeden Tag die gleiche broadwaygestylte Multikulti-Show läuft: „The Coca-Cola Olympic City Kids“. Alles für die Fans. Ute Thon