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Wir sind zwei Völker

■ Die Länderfusion – ein Ost-West-Konflikt

Nein, die Geschichte hat sich nicht wiederholt, obwohl sie alle Elemente einer Farce schon in sich barg. „Ein Land in Sicht“, frohlockten über Monate Ku'damm rauf, Havel runter Eberhard Diepgen und Manfred Stolpe in vollem Vertrauen auf die Konnotation, die diese Parole im Land des „Wir sind ein Volk“ wachrufen würde. Doch die Aussicht schreckte, die Fusion von Berlin und Brandenburg wurde abgelehnt. Die Einheit ist kein mobilisierender Faktor mehr, sie scheint vielmehr einen irrationalen Separatismus zu befördern, in dem Maße, wie sie beschworen wird. Es gab viele gute Gründe für ein Verschmelzen der beiden Länder, nun gibt es viele schlechte Begründungen, weshalb es nicht zustande kam.

Die schlechteste lieferte Diepgen, der die alten Vorbehalte der alten DDR gegen die alte Hauptstadt der DDR am Wirken sah. Der gute Mann hat übersehen, daß diese alten Vorbehalte anscheinend von der alten Hauptstadt der DDR geteilt werden, haben doch die Ostberliner die Fusion gleichfalls abgelehnt. Indem er solchermaßen das Scheitern zu einer Art inneren Angelegenheit der DDR deklarierte, ist Diepgen jedoch cum grano salis der Wahrheit viel näher gekommen, als er selbst wollte. Das Abstimmungsergebnis sei kein Ost-West-Problem, sagt er und behandelt es als solches. Eine Schizophrenie, die parteiübergreifend die Politiker angesichts eines Volkes ergreift, das nicht so wählte, wie sie teilweise selbst nicht wollten, es öffentlich jedoch nicht einzugestehen trauten. Da wird von dem Brandenburger geredet und der Ossi gemeint. Ob die Entscheidung wohlwollend als Ausdruck brandenburgischen Selbstbewußtseins, wie vom Grünen-Sprecher Jürgen Trittin, oder gehässig als späte Rache an der Hauptstadt, wie vom Berliner CDU- Frontmann Klaus Landowsky, interpretiert wird – gemeinsam ist ihnen der paternalistische Unterton, in dem den lieben Brüdern und Schwestern schon immer erläutert wurde, was für sie am besten ist.

Da konnte auch die Aussicht nicht locken, in einem gemeinsamen Land ausnahmsweise mal den Wessis gegenüber in der Überzahl zu sein, ihnen in gleicher Münze heimzuzahlen, in der man selbst abkassiert wurde. Mittlerweile ist die Einheit soweit gediehen, daß man von ihr am liebsten in Ruhe gelassen werden will. Dieter Rulff

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