Größter Skin-Prozeß in Sachsen

■ Ein Jahr nach dem tödlichen Überfall auf „Linke“ am Stausee Oberwald stehen 20 Angeklagte vor Gericht

Chemnitz (taz) – Im Wald lauert die Polizei. Ausweiskontrolle. Sperrgitter und ein freundlicher Beamter weisen den Weg. Herunter von der Straße, die an einer verlassenen Kaserne vorbeiführt, und querfeldein bis zum Polizeizelt. Taschenkontrolle. Nochmal fünfzig Meter Spalier. Eine Ziegelruine, dahinter dieser Flachbau mit Wandelgang. Die 3. Strafkammer des Chemnitzer Landgerichts verhandelt im Kasernenkino der Bereitschaftspolizei.

Angeklagt in dem bisher größten Prozeß gegen rechtsextremistisch motivierte Straftäter in Sachsen sind zwanzig Männer im Alter von 20 bis 34 Jahren. Richter Kuhnert hilft den Jungmännern und ihren Pflichtverteidigern bei der Platzwahl in den ersten Reihen. Das dauert. Zwei Stunden nach Prozeßbeginn steht fest: Ein Angeklagter fehlt. Das Arztattest liegt vor. Kippt nun der Prozeß? Das Gericht vertagt auf den Nachmittag: „Bis dahin versuchen wir, den Angeklagten noch einmal untersuchen zu lassen.“

Der war gut; die Angeklagten johlen, ihre Mädchen winken aus den Parkettreihen. Fünf Männer bekommen wieder Handschellen angelegt, für die anderen gibt einer den Marschbefehl: „Ab zu McDonalds!“ Punkt 14 Uhr trifft tatsächlich der krank geschriebene Angeklagte Mario L. ein, im Rollstuhl. Das Mammutverfahren kann beginnen, 27 Verhandlungstage sind angesetzt.

Am Himmelfahrtstag des vergangenen Jahres zechte diese Gruppe am Stausee Oberwald, in der Nähe von Chemnitz. Laut Anklageschrift beobachteten sie beim Vormittagsbier zwei Pakistani, die mit einem mobilen Verkaufsstand handelten. Die „Ausländer“ sollten abhauen; Mario L. warf den Warentisch um, Billy L. setzte einem Pakistani die Schreckschußpistole an den Kopf. Gleichaltrige Deutsche gingen dazwischen und versuchten, den Pakistani zu helfen. Die konnten fliehen. Für die Deutschmänner ein klarer Fall: Das waren „Linke“, die ihnen in die Quere kamen.

Beim Nachmittagsbier schmiedete die Clique ihren Racheplan. Die Anklage spricht von einem „arbeitsteiligen“ und „überfallartigen“ Vorgehen. In mehreren Gruppen stürmten bewaffnete Glatzköpfe über die Liegewiese des Badesees. Die vermeintlich „Linken“ wurden mit schier unglaublicher Brutalität zusammengeschlagen. Billy L. zerdrosch auf dem Kopf eines bereits verletzten Opfers den Stiel eines Vorschlaghammers, andere prügelten mit Bierflaschen und Baseballschlägern.

Die Anklage zählt mindestens ein halbes Dutzend „unbekannter Geschädigter“ auf; die Anwälte werden das zu nutzen wissen. Fragwürdig ist, warum eine Person, der eine Bierflasche am Kopf zerschlagen wurde, nicht namentlich ermittelt werden konnte.

Eine Woche nach dem Überfall verstarb der 24jährige Familienvater Peter T. an den Folgen seiner schweren Verletzungen.

Keinem der 20 Angeklagten werden die tödlichen Schläge direkt angelastet, die Anklage lautet lediglich auf schweren Landfriedensbruch und, in zwei Fällen, auch auf Nötigung und Körperverletzung. Zwei Angeklagte waren zur Tatzeit Angehörige der Bundeswehr. Billy L., offenbar Rädelsführer der Schläger, ist Brite. Nach Sachsen kam er angeblich, weil er dort einen Job gefunden hatte. Sein Leben beschreibt er mit „Arbeit, Gefängnis, Arbeit, Gefängnis...“. Detlef Krell