Nacktheit und ein Begriff davon

■ Die zweite Hälfte des Festivals Junge Hunde geht um Körper, Tod, Sex und Kultur

Anders als in den Vorjahren, wo sich besonders bei den Gastspielen des Festivals Junge Hunde im Mai oft eine überschaubare Menge von fünf bis sechs Leuten in den Kampnagelhallen verloren, ist das diesjährige Festival bis jetzt ein Erfolg. Allerdings scheint auch einfach die Qualität des Dargebotenen die nötige Mund-zu-Mund-Propaganda anzufeuern, ohne die ein Nachwuchsfestival verratzt ist.

Die zweite Hälfte dieser kombinierten Form aus Hamburger Low-Cost-Produktionen und Vorstellungen junger Theaterarbeit aus dem Rest der Welt sieht heute als erstes einen nackten Mann im Wok: Edwin Lung, ein in London lebender Hongkong-Chinese, zeigt zwei Solochoreografien mit dem Titel Remains und A Will In The Making, die sich mit dem Massaker vom Tianamen und mit China während der Opiumkriege beschäftigen (heute bis Sa, 21 Uhr, k4).

Auch Nao Bustamante weiß das Element der Nacktheit für sich einzusetzen. Die Mexikanerin, die als Pendant zu Annie Sprinkle verkauft wird, benützt ihre eigene Entblößtheit für eine bissige, surreale Satire auf stinkende Sexualmoral in Form einer Monroe-Parodie (15./16.5., 21 Uhr, 18.5., 22.30 Uhr).

Auch Jürgen Flimms Regieschüler sind heuer mehrfach vertreten: Die Regiesseurin Maria Kross bearbeitet in Vampyr die unheimliche Attraktivität von Blutsaugern (14.-17. 5., 21 Uhr, k1), Falk Richter fragt sich in Death Valley Stories, was eigentlich nach einer Orgie so passiert und konnte dafür die Männerpensionistin Marie Bäumer gewinnen (16./17., 19 Uhr, 18./19.5., 21 Uhr, k2) und Hans-Jörg Kapp inszeniert ein musikalisches Kammerspiel um einen echten Filmtod mit dem Titel Gunshot-Katas (21./22./24. 5., 20 Uhr, k4).

Beschlossen wird das Festival mit dem Stück The Flux Position Of An Insulted Eye der norwegischen Choreografin Ingun Björnsgaard. Mit ihrer Auseinandersetzung mit neuem Feminismus, weiblichen Mythen und verschiedenen Körperbegriffen begreift Björnsgaard den Tanz durchaus als eine intellektuelle Disziplin, die über die reine Sinnlichkeit auch Fragen nach der Richtigkeit von Begriffen und Wahrnehmungen stellen kann. Ihr hier aufgeführtes Stück bezieht sich auf die streitbaren Thesen der feministischen Querdenkerin Camille Paglia, insbesondere auf deren Buch Sexual Persona (23.-25. 5., 20.30 Uhr, k2).

Zwei Podiumsdiskussionen erlauben etwas hintergründigeres Gerede über den Stand der Dinge. Morgen diskutieren Lung, Bustamente u.a. über die Fragwürdigkeit des Begriffs der Multikultur und am 17. Mai spricht Lehrer Flimm mit seinen Schülern über die Originalität junger Regisseure und Regisseurinnen (jeweils 22 Uhr). Hier ist der Eintritt frei.

Till Briegleb