: Aufarbeiten, ad acta legen und schweigen
■ Hamburg im Jahr Eins nach Entsorgung der deutschen Geschichte Von Kay Dohnke
Mahnende, klagende, Geschichte interpretierende Worte waren wohlfeil in den Tagen um den 8. Mai 1995. Allerorten Bezug auf deutsche Geschichte, deutsche Schuld, deutsche Verantwortung bis ins dritte Glied: im kalendarisch unausweichlichen Erinnerungs-Marathon zum 50 Jahrestag der Befreiung vom Faschismus war die Unterscheidung zwischen Betroffenheit und Lippenbekenntnissen zuweilen schwierig. Und manch Kommunalpolitiker stellte überrascht fest, daß noch Zeitzeugen am Leben waren. Interessant, was die alles erzählen können! Die NS-Zeit, auch hier bei uns.
Trotz oder gerade wegen dieser flächendeckenden Nachhilfeaktion in Sachen historisches Bewußtsein stand zu erwarten, daß die Schlußstrich-Mentalität noch einmal Gesprochenes absondern und Gedrucktes bezuschussen, sich dann aber der gegenwärtigen Alltäglichkeit zuwenden werde. Umgang mit deutschem Geschichtserbe: aufarbeiten, bewältigen, ad acta legen in dicken Büchern mit vielen Fußnoten, wissenschaftlich objektivierte Schuldverteilung aus sicherer Distanz. Geschichte, wortreich entsorgt. Und danach – schweigen?
Doch der pessimistische Blick auf Hamburgs weiteren Umgang mit der NS-Geschichte zeigt Überraschendes: Trotz angespannter Haushaltslage bleibt die institutionalisierte Arbeit weiterhin möglich, ob im Projekt zur Hamburger NS-Justiz, der Gedenkstätte Israelitische Töchterschule oder der KZ-Gedenkstätte Neuengamme. Unerwartet großzügig unterstützte die Wissenschaftsbehörde sogar die „Werkstatt der Erinnerung“. Zur kritischen Auswertung von über 400 Interviews mit Verfolgten der Nazi-Zeit mußten die Tonbandaufnahmen verschriftlicht werden – und das drohte für die einzige Schreibkraft zur zeitraubenden Sisyphus-Arbeit zu werden. Die unbürokratische Bereitstellung von Sondermitteln für vier weitere Kräfte löste das Problem; inzwischen läuft die Auswertung, und ein Sammelband mit den Ergebnissen ist in Vorbereitung.
Auch für künftige Aufgaben gibt es Perspektiven: Momentan laufen Vorbereitungen für die Umwandlung der „Forschungsstelle für die Geschichte des Nationalsozialismus“ in eine Stiftung, die mit eigenem Etat dann auch der „Werkstatt der Erinnerung“ kontinuierliche Arbeit ermöglichen könnte. Anvisiertes Folgeprojekt der oral-history-Forschung: Nachkriegszeit in Hamburg. Die Bilanz ist trotz denkbarer Haushaltssperren ermutigend – für Hamburg.
Anders sieht es im nördlichen Nachbarland aus: auch Schleswig-Holsteins Ministerpräsidentin Heide Simonis hatte ihre Redenschreiber zum Gedenktag hehre Worte formulieren lassen – Worte, die auch Unfreiwilligkeit signalisierten: „Der 8. Mai ist ein Tag, an dem von uns erwartet wurde, daß wir uns erinnern, an das, was wir getan haben“. Und auch Frau Simonis stellte fest, daß „wir unsere Geschichte nicht mehr verdrängen, sondern angenommen haben und uns unserer historischen Verantwortung bewußt sind.“
Wie wenig ein solches Bekenntnis der Ministerpräsidentin aber die Position der Regierung ausdrückt, mußte der Arbeitskreis zur Erforschung des Nationalsozialismus noch im Sommer 1995 feststellen. Als der Landesrechnungshof die ohnehin nur geringe Förderung des Arbeitskreises durch das Kultusministerium streichen wollte, da er seine Arbeit für überflüssig halte, bot die Kieler SPD-Landtagsfraktion einen Deal an. Man stelle sich dem Ansinnen der Finanzprüfer mutig entgegen – aber in der Kasse kneife es nun mal.Arme SPD, von der Haushaltslage so in die Enge getrieben, daß sie dem kritischen Geschichtsverein seine 8.000 Mark jährliche Unterstützung beschneiden muß! Unerwartet gab es für 1996 noch die volle Summe – wohl eher eine Laune der Geldzuteilung, nicht jedoch Resultat politischer Willensentscheidung.
Und so bleibt, was an Worten nicht zu erkennen ist, noch immer an künftigen Taten zu messen.
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