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Hohes Tempo ohne Blaulicht?

Polizeifunkwagen waren unlängst in zwei tragische Verkehrsunfälle verwickelt. Eine 16jährige starb, eine Neunjährige wurde schwer verletzt  ■ Von Plutonia Plarre

Es geschah am vergangenen Samstag zu nachtschlafender Zeit im Bezirk Hellersdorf: Ein aus dem brandenburgischen Neuenhagen kommender Polizeiwagen rauschte in hohem Tempo durch den Ortsteil Mahlsdorf. Der PKW befand sich gegen 3.20 Uhr auf dem Weg zu einem Verkehrsunfall in Hönow. An der Kreuzung Dahlwitz-/Ecke Lemkestraße überfuhr der Wagen die 16jährige Schülerin Yvonne H. Das Mädchen erlitt so schwere Verletzungen, daß es noch am Unfallort starb.

Der tragische Unfall ist der zweite binnen 14 Tagen, in den eine Funkstreife verwickelt war. Am 20. April wurde ein neunjähriges Mädchen an einer Fußgängerampel in der Lietzenburger Straße von einem Polizeiwagen angefahren und lebensgefährlich verletzt. Nach Angaben der Polizeipressestelle befand sich das Fahrzeug im Einsatz und hatte Blaulicht und Martinshorn eingeschaltet.

Ob das Mädchen sich von der Hand seiner Mutter losgerissen hatte und bei rot auf die Straße gelaufen war, oder ob die Fußgängerampel grün angezeigt hatte, ist noch nicht abschließend geklärt. Auch im Fall der getöteten 16jährigen Schülerin dauern die Ermittlungen noch an. Auf einen Aufruf der Polizei hin haben sich inzwischen mehrere Zeugen gemeldet. Kein einziger dieser Zeugen habe ein Blaulichtsignal gesehen, erklärt der Leiter der ermittelnden Verkehrsunfallbereitschaft, Klaus Kuba, gestern auf Nachfrage der taz. Wie schnell der Wagen bei dem Aufprall gefahren sei und ob das Blaulicht eigeschaltet war, seien zentrale Fragen der Ermittlungen, bestätigte Kuba. Der Fahrer und sein Beifahrer hätten bislang noch keinerlei Aussage gemacht. Die BILD-Zeitung hatte behauptet, die beiden brandenburgischen Beamten hätten erklärt, mit eingeschaltetem Signal gefahren zu sein.

Eine Dienstvorschrift und Geschwindigkeitsrichtlinien für die Bedienung von Blaulicht und Martinshorn gibt es laut Kuba nicht. Die Beamten müßten dies von Fall zu Fall „sehr sorgfältig selbst entscheiden“. Manchmal sei es aus taktischen Gründen nicht möglich, weil damit die Täter gewarnt würden. Nach Angaben der Polizeipressestelle müssen die mit Blaulicht im Sondereinsatz befindlichen Funkwagen aber zumindest „kurz anhalten“, bevor sie in eine Kreuzung einfahren.

Diese Anweisung ist eine der Konsequenzen, die die Polizei aus dem sogenannten Schloßbrücken-Unfall gezogen hat. Am 6. März 1993 waren die vier- und sechsjährigen Geschwister Carl und Rosa auf der Schloßbrücke gestorben, weil ein Polizeiwagen bei einem Einsatz auf der Straße „Unter den Linden“ ins Schleudern geraten und in eine Fußgängergruppe gerast war. Mehere Menschen, darunter die Eltern der getöteten Kinder, wurden damals schwer verletzt. Der 31jährige Fahrer wurde später zu einer siebenmonatigen Bewährungsstrafe verurteilt und steuert heute wieder einen Funkwagen, bestätigte die Polizeipressestelle.

Als Konsequenz aus dem Unfall nähmen alle Polizei-Berufsanfänger an einem siebentägigen Training teil, um sämtliche Einsatzfahrzeuge, vom Golf bis zur Wanne, kennenzulernen. Einzig der Wasserwerfer sei nicht dabei. Streßbewältigung bei Einsatzfahrten gehöre zum festen Unterrichtsprogramm und erfolge unter anderem durch das Anschauen von Videofilmen.

Die Opfer des Schloßbrücken- Unfalls mußten einen „mühsamen Streit“ ausfechten, um ihre Schadensersatzansprüche durchzusetzen, erklärte Anwalt Burkhard Herzog, der die Eltern der getöteten Kinder vertreten hat. Weil der Fahrer wegen „Fahrlässigkeit“ verurteilt wurde, haftete das Land Berlin. Bei „grober Fahrlässigkeit“ hätte der Fahrer selbst zahlen müssen. Nur Beamte, die Gewerkschaftsmitglied sind, sind automatisch regreßhaftpflichtversichert.

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