■ MTV sucht Nachwuchsmoderatoren: Alles klar, alles easy
Sie beherrschen „die englische Sprache“, sie haben „Spaß an Musik“ und können sich „vorstellen, in London zu leben und zu arbeiten“: Junge Fernsehtalente, nach denen der Musiksender MTV zur Zeit in Deutschland fahndet. Angetreten, ein sogenanntes Casting zu beobachten, schockiert uns ein Hinweis in der Eingangshalle.
Mit dem Eintritt in die wunderbare MTV-Casting-Welt der Münchner Wamsler-Halle, so lesen wir staunend auf einem Zettel, haben wir unsere Seele den Videoschergen verkauft. MTV darf uns filmen, fotografieren und senden zu jeder Tages- und Nachtzeit, außerdem in jedem Land der Erde, auf dem Mars und unter der Dusche. Mindestens. Und nicht nur MTV. Auf der Treppe filmt gerade „Focus-TV“, und vor der Halle wegelagert der smarte Fotograf vom hippen Jetzt-Magazin. Aber das wollen die Jungs und Mädels hier ja: ins Fernsehen. In die Zeitung. Berühmt werden. Und vor die Berühmtheit hat MTV das Casting gesetzt. Und vor das Casting die Wamsler-Wartehalle. Da stehen sie alle rum: 167 flirtet mit 173, 158 sagt 159, daß sie sehr aufgeregt ist.
Das ließe sich alles sehr schön häppchenverspeisend von der Press-only-Empore aus beoachten, wenn, ja wenn wir uns nicht im Reich des MTV-Pressesprechers Stefan befänden. „Na, alles klar?“ fragt er, und natürlich ist alles klar. Sein Tonfall wird vertraulich. Er könne uns ein paar Minuten mit Kimsi verschaffen. Mit Klinsi? Mit dem Kini? Peinlicher Irrtum. Kimsi ist natürlich Kimsy, und außerdem ist sie eine neue MTV-Moderatorin, und wir könnten fünf Minuten mit ihr haben und auch noch ein Foto. Das wollen wir doch gar nicht! Da nehmen wir lieber die Bewerber genauer unter die Lupe.
Die meisten sind „nur zum Spaß“ hier und wollen sich „mal die Leute anschauen“. Allerdings haben restlos alle mindestens „zwei Jahre in Schottland“, wenn nicht gar „siebzig Jahre in New York“ gelebt.
In Dreiergruppen werden sie zum Casting aufgerufen, und Pressesprecher „Alles klar?“-Stefan macht es möglich, daß wir mit in den Sicherheitsbereich dürfen. Zunächst die Chill-out-warm-Up- Zone. Auf einigen Sofas kauern verschüchterte Videojockeys und sind gar nicht mehr fröhlich, sondern blaß und still.
Alex, ein lustiger BWL-Student im MTV-Auftrag, nimmt sich der Aspiranten an. „Gebt alles vor der Kamera: Lacht, tanzt, singt! Geht aus euch heraus!“ Uns dagegen quatscht schon wieder der Pressesprecher an: „Alles klar? Ich könnte euch fünf Minuten mit Shelby verschaffen...“
Shelby ist der Boß in der Lederjacke. Er entscheidet, wer genommen wird. Shelby ist so cool, daß er sich eigentlich gar nicht bewegen kann. Er ist auch zu cool, um mit uns zu reden. Höchstens fünf Minuten lang, die könnte uns der Pressesprecher „besorgen“ beziehungsweise „verschaffen“. Wir nicken freundlich und hilflos. Wir wollen doch gar nicht mit Shelby sprechen. Schnell weiter. Mit einer Bewerberin in Lackkleidung und rotem Haar, so aufgedonnert, daß sie ohne weiteres als Transvestit durchginge, verdrücken wir uns zum Casting. Jetzt wird es aufregend.
In einem weißen Zelt warten zwei Menschen, eine junge Frau und ein junger Mann sowie eine Kamera. Die junge Frau schreibt den Namen der Bewerberin auf. Dann schaltet der junge Mann die Kamera ein. Dann fällt der Bewerberin nichts ein. Dann singt sie „Ich will keine Schokolade – ich will lieber einen Mann.“ Die zwei Minuten sind immer noch nicht rum. Sie redet von ihrem roten Haar, verhaspelt sich. Die Anwesenden blicken betreten zu Boden. Dann ist es vorbei. Shelby, übernehmen Sie! Stefan Kuzmany
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