„Bloß keine Barbie-Gruppe“

■ „Kick Seit' ran“: Für Mollige sind Fitness-Studios ein rotes Tuch / In der Neustadt gibt es eine echte Alternative

„Das muß ein Beamtenapparat sein. Der läuft so langsam,“ sagt Trainerin Anke Hübner und gibt dem stockenden CD-Player einen aufmunternden Klaps. Dabei lief Anke Hübner gerade selbst nicht auf Hochtouren. Anders als die Musikkiste hat sie dafür jedoch einen guten Grund: „Die Herz-Kreislauf-Belastung und die Gelenke.“ Anke Hübner trainiert „Mollige“, wie sie sagt. „Das klingt so freundlich.“

Wenn Anke Hübner, im normalen Leben Verwaltungsangestellte, jeden Samstag in der Mehrzweckhalle des BTS Neustadt ihren „Sportkurs für Mollige“ abhält, hat sie sämtliche Bewegungsabläufe vorher umsichtig geplant. „Für den äußersten Notfall“ wäre sogar ein Mediziner im Haus. Aber zum Notfall kam es noch nie. Ohnehin geht es in der Molligen-Gruppe um Wohlbehagen. „Nach der Stunde sollen meine Leute sich gut fühlen“, sagt Anke Hübner. Dem Aufbau von Muskeln folgt der Aufbau von Selbstbewußtsein. „Immer dran denken: Wie tausend Dollar an der Kasse steh'n“, ermuntert sie ihre 16 Damen und zwei Herren. Aber – wie stehen tausend Dollar an der Kasse?

Mareike Schulze, quasi Gründungsmitglied im Molligenkursus, der im ersten Jahr läuft, schwillt plötzlich zur stattlichen Erscheinung an. Sie drückt die Brust nach vorne und kneift die Pobacken superfest zusammen. „Den tausend Dollar-Schein, der hier steckt, den gönne ich der Kassiererin nicht“, erklärt sie mit einer Handbewegung auf den Allerwertesten. Kurskollegin Anja Mahlke witzelt: „Eher schon dem Kassierer.“

Bevor die Frauen den Weg zu Anke Hübner fanden, absolvierten die meisten von ihnen allerdings einen Spießrutenlauf in der normalgewichtigen Welt. Zwar sind sie sich einig, daß körperliche Fülle im allgemeinen heute eher akzeptiert wird als noch vor zwanzig Jahren. Aber sportbegeisterte Dicke treffen immer wieder auf Vorurteile. Besonders drastisch erleben sie das im Fitness-Studio. Denn wo gertenschlanke ZeitgenossInnen neben dem neuesten Signal-Body auch noch möglichst viel Haut zur Schau tragen, „weiß so gut wie niemand, was für Übergewichtige richtig ist“. Mehr noch: Bevor die Studio-Trainerin damals zu Elvira Kelt und ihrer Freundin ans Sportgerät kam, „hat sie den anderen verkündet, sie muß jetzt mal rüber zu den Dicken“ Die beiden Freundinnen strichen den Laden daraufhin von ihrer Freizeit-Liste.

„Ein Glück, haben wir dann diesen Kurs hier gefunden“, sagt Elvira. Sie sei schon drauf und dran gewesen, per Annonce nach Gleichgesinnten zu suchen. „Da hätte ich reingeschrieben: Bloß keine Barbiegruppe.“ Im Fitness-Studio, glaubt sie, „sterben doch alle für ihren Körper“. Davon sind die 18 Vollschlanken, die jeden Samstag in der Neustadt trainieren, weit entfernt.

Das T-Shirt lose über die Hüfte gezogen, machen sie „das X, Seit' kick und dreeee-hen“ und dazu eine ganz entspannte Miene. Das hat Übungsleiterin Hübner extra für's Pressefoto so arrangiert: „Dabei gucken meine Leute ganz entspannt und das wird sicher ein schönes Bild.“ Die anstrengenden Übungen, bei denen ihre Schützlinge so richtig ins Schnaufen kommen, liegen sowieso immer am Beginn der kurzen dreiviertel-Trainingsstunde – und außerdem müsse man sich auch beim Sportmachen leiden mögen. Bewegungen, bei denen man nicht weiß, wohin mit dem Bauch, fallen deshalb ganz weg. „Kick Seit' ran“, schwenken die Frauen die Arme im Takt und werfen dabei immer wieder einen kritischen Blick in den großen Spiegel im Saal, zupfen am T-Shirt oder richten sich mal ganz groß auf. Gut so, meint Hübner: „Bei diesem Kurs kommt es doch viel auf die Haltung an.“ ede