Ein Gehirn mit vielen Gesichtern

■ Jacques Herzog stellte die Arbeit des Schweizer Architektenbüros „Herzog/de Meuron“ vor

Viele Arbeiten des Baseler Architektenteams Herzog/de Meuron sind wie belebte Bühnenbilder für eine Inszenierung des Alltags. Die großen theatralischen Gesten ihrer Fassaden entwickeln sie durch den kreativen Einsatz ungewöhnlicher Versatzstücke, von Lichtregie und gestaffelten Ebenen. Diese Stimulanzien ergeben die Regie für den Akteur: den Bewohner, den Benutzer wie den Betrachter.

Auch wenn viele ihrer Bauten nicht zwangsläufig auf denselben Urheber schließen lassen, tauchen in den über ganz Europa verstreuten Gebäuden immer wieder obige Prinzipien auf. Sie erlauben die Zuordnung über die Verblüffung darüber, wie höchst unterschiedliche Materialien als Spielarten eines Themas Gleichberechtigung erlangen können. Einige Beispiele zum Komplex „gestaffelte Fassaden“, die Jacques Herzog am Donnerstag in der Patriotischen Gesellschaft auf Einladung der Architektenkammer vortrug, mögen diese subtile Inszenierung erklären.

So wurde für ein Baseler Stellwerk eine Fassade aus gedrehten Kupferlängsstreifen entwickelt, die je nach Licht und Tageszeit völlig unterschiedliche Plastizitäten vermittelt. Wirkt das „Rangier-Gehirn“ tagsüber hermetisch verschlossen aber durch die Drehungen der glänzenden Streifen als schwer faßbare Gesamtform mit aufgelösten Ecken, so scheinen die wenigen Fenster des eigentlich kompakten Quaders nachts wie glühende Augen durch ein geschlossenes Visier. Auch die Anordnung von Hochhausstreifen zwischen gezirkelten Baumreihen für ein Projekt zur Weltausstellung Hannover ermöglicht den verzögerten und veränderlichen Blick auf das Wesen der Gebäude. Ebenso ein geschlossener Vorhang aus gußeisernen Gitterläden vor einem schmalen Wohnhaus in Basel, der das Erscheinungsbild der Fassade wiederum von den Lichtverhältnissen (tags eine schwarze Metallgardine, nachts ein lumineszierender Turm) her bestimmt. Die Verkleidung eines Steinbaus in eine Glashülle gehört ebenso in diese klare Konzeptlinie wie die „Tätowierungen“ mit Porträts (Entwurf zur Jussieu Bibliothek in Paris) und Beschriftungen (ebd. und bei einem Kulturzentrum in Blois) oder die transparente Fotofassade aus Blattornamenten im Ricola-Lager.

Trotz der äußeren Vielfalt signiert eine kühle, dem Möbelde-sign und der Konzeptkunst gleichermaßen verwandte Ästhetik die meisten ihre Gebäude als Werke von Herzog/de Meuron. In der jahrelangen Zusammenarbeit mit Künstlern wie Rémy Zaugg oder Thomas Ruff hat sich ein Geschmack mit Goldrand entwickelt, der ihren Gebäuden einen intelligenten, mondänen Chic verleiht. Daß die Zusammenarbeit mit Künstlern allerdings auch zu Vorschlägen führen kann, die von jeder städtebaulichen Vernunft losgekoppelt sind, zeigte ihr Beitrag zur Ausstellung Berlin morgen (1991): Vier jede Dimension sprengende Hochhausscheiben um den Tiergarten gruppiert hätten ganz Berlin zu einem niedrigen Podest für ein gigantomanisches Exponat der Konzept-Kunst degradiert. Doch dieses Bühnenbild findet gottseidank nie sein Stück. Till Briegleb

Ausstellung in der Galerie Kammer, Münzplatz 11, bis 12. Februar