Kinder, Katzen und Kaninchen

■ Auf der Stadtteilfarm Huchting erleben Stadtkinder die Natur / Ökologisch handeln heißt hier: Safttüten kommen in den Müll

Pferde grasen auf der Wiese, Katzen streichen um das „Bauernhaus“, und eine struppige Warzenente begrüßt Ankömmlinge auf dem Hof mit einem warnenden Fauchen. Die kleinen Obstbäume wiegen sich im Wind, und auf den Beeten zeigt sich das erste Grün. Eine ländliche Idylle mitten in Bremen-Huchting, und zugleich etwas ganz Besonderes: Direkt neben dem Sodenmatt-See liegt die Stadtteilfarm Huchting, ein offener Hort für Kinder und Jugendliche zwischen acht und 16 Jahren.

Hier können Stadtkinder wieder Natur erleben: Die Ponys wollen nicht nur geritten, sondern auch gestriegelt werden. Die Kinder misten den Stall aus und sammeln die Eier der 20 Hühner ein, die überall auf dem 1,5 Hektar großen Grundstück herumlaufen. Auch die Ziegen, Schafe und Hängebauchschweine müssen versorgt werden. Alles wird von den Kindern nach der Schule selbst gemacht, unter Anleitung von acht Betreuerinnen. Schulklassen und Kindergartengruppen kommen vormittags zu Besuch. Gemeinsam werden im Bauerngarten Kräuter und Gemüse gesät, ihr Wachstum verfolgt und später zum Mittag gegessen. Das stark verschmutzte Wasser des Sodenmatt-Sees wurde von den Kindern unter dem Mikroskop untersucht. Demnächst wollen sie Ziegenmilch zu Käse verarbeiten, um zu sehen, wie der Brotbelag gemacht wird. Ganz besonders stolz sind die Kinder und BetreuerInnen auf den selbstgebauten Lehmbackofen, in dem sie bald ihr eigenes Brot backen können. Selbst ein Storch hat sich schon zweimal auf dem Dachfirst blicken lassen. Bis zu 30 Kinder wuseln an manchen Tagen auf dem Hof herum. Meist mehr Mädchen als Jungen, mehr deutsche als ausländische Kinder. Woran das liegt, weiß niemand – aber im Umgang mit den Tieren und der Natur verhalten sich alle gleich. Solche Kinder- und Jugendfarmen gibt es in ganz Europa. Die Idee für das Huchtinger Modell hatte die Lehrerin Uschi Hillmann vor fünf Jahren – die wachsende Gewalt unter den Kindern ließen sie nach einem Weg suchen, „um die Kids weg von der Straße zu bekommen.“ Sie gründete den Verein „Stadtteilfarm Huchting“, der allerdings zunächst kein Grundstück hatte. Eine Filmgesellschaft kam ihr zur Hilfe: Nach dem Motto „Wetten, daß wir es schaffen, Eure Farm in 72 Stunden aufzubauen“, wurden das Haus, die Scheune und der Reitplatz quasi aus dem Nichts gestampft. Die Polizei stiftete die Schafe, die Pferde und Ponys wurden vor dem Schlachthof gerettet, und die stubenreinen Hängebauchschweine schenkte ihnen ein Privatmann. Nach und nach kamen so fast alle Tiere dazu, die ein richtiger Bauernhof benötigt. Die Stadt kommt für die laufenden Kosten auf. Und altes Brot, von HuchtingerInnen gesammelt, wird stets gerne genommen.

Mittags gibt es preiswertes Essen für die Kinder, natürlich alles ökologisch. „Ich glaube aber nicht, daß das den Kindern so bewußt ist“, vermutet Nicole Meyer, eine der BetreuerInnen, „im Gegenteil, die Vollkorn-Nudeln sind den meisten ein Graus!“ Lernerfolge in Sachen Ökologie sind dennoch zu verbuchen. Abgesehen von dem wachsenden Selbstbewußtsein und Selbstvertrauen, das die Kids „so nebenbei“ lernen, achten sie zum Beispiel verstärkt auf Müll in der Umwelt. „Sie werfen hier auf der Farm tatsächlich nichts hin und bemühen sich, im Haus den Müll richtig zu trennen“, berichtet Nicole Meyer. „Selbst auf Exkursionen an die Nordsee, die wir mit ihnen machen, schleppen sie ihre Safttüten so lange mit, bis sie einen Mülleimer finden.“ „Die Kinder sind hier auch erstaunlich leise“, wundert sich die Betreuerin, „sie sitzen oft nur stumm vor den Tieren und betrachten sie.“ Als vor einigen Tagen eine der drei Katzen ein verwildertes Kaninchen riß, waren die Kinder zuerst sehr mitgenommen. „Erst als ich ihnen erklärte, daß so nun einmal die Natur sei und die Katze das Kaninchen nicht hätte fangen können, wenn es gesund gewesen wäre, beruhigten sie sich wieder. So machen die Kinder ihre Lernerfahrungen mit der Natur.“

Birgit Köhler