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In Mostar droht ein Wahlboykott

Die Flüchtlinge aus Mostar sollen nicht an der Kommunalwahl teilnehmen können. Das Wahlgesetz erschwert die Registrierung von Opfern der ethnischen Vertreibungen  ■ Aus Split Erich Rathfelder

Die muslimische Nationalpartei SDA hat zum Boykott der für den 31. Mai 1996 angesetzten Kommunalwahlen in Mostar aufgerufen. Sie ließ die am Samstag abgelaufene Frist zur Registrierung der Partei zur Kommunalwahl verstreichen und forderte damit indirekt ihre Wähler dazu auf, an den Wahlen nicht teilzunehmen. Da aber auch andere Parteien sich der Position der Führung der SDA anschließen – so zum Beispiel die neugegründete „Partei für Bosnien-Herzegowina“ des früheren Ministerpräsidenten Haris Silajdžić — ist ein Wahlboykott wahrscheinlich.

Der Bürgermeister des muslimisch kontrollierten Ostteils der Stadt, Safet Oručević, hatte schon vor Ablauf der Registrierungsfrist in der Nacht zum Samstag erklärt, seine Partei würde die Wahl zum 31. Mai boykottieren, wenn die 45.000 muslimischen und serbischen Vertriebenen, die vor dem Krieg in Mostar wohnten, nicht an der Wahl teilnehmen könnten.

Hintergrund für diese Aussage ist das Wahlgesetz, das es Vertriebenen erschwert, bei den Wahlen registriert zu werden. Dagegen werden Neubürger, also jene, die selbst Vertriebene aus anderen Teilen Bosniens sind, jedoch in Mostar angesiedelt wurden, leichter registriert. Diese Menschen müssen allerdings erklären, in Zukunft in Mostar leben zu wollen.

In der ersten Welle der ethnischen Vertreibungen verließen im Juni 1992 viele Serben die Stadt, nachdem die vereinten muslimisch-kroatischen Streitkräfte die Stadt von den serbischen Streitkräften befreit hatten. Mit dem Beginn des muslimisch-kroatischen Krieges am 8. Mai 1993 wurden in Mostar Zehntausende von Muslimen unter oftmals grausamen Umständen aus dem westlichen Teil der Stadt in den Ostteil vertrieben. Aber auch die meisten im Ostteil ansässigen Kroaten mußten in den kroatisch kontrollierten Westteil übersiedeln. In beide Teile der Stadt strömten zudem Vertriebene aus anderen Regionen.

Im Westteil der Stadt wurden Tausende kroatische Flüchtlinge aus Zentralbosnien untergebracht, im Ostteil mußten Tausende Muslime aus den südlich von Mostar gelegen Gebieten um Stolac eine Bleibe finden.

Die Organisation für Sicherheit und Zusammenarbeit in Europa (OSZE) hat während der Diskussion des Wahlprozederes versucht, die unterschiedlichen Interessen der vertriebenen Gruppen in bezug auf den Wahlprozeß in Einklang zu bringen. Grundsätzlich sollen nach dem Abkommen von Dayton alle Vertriebenen, die mindestens 18 Jahre alt sind und bei dem Zensus 1991 in ihrer Heimatgemeinde erfaßt waren, das Recht haben, in diesen Heimatorten zu wählen. Die lokalen Wahlkommissionen müssen jedoch dieses Recht bestätigen. Darüber hinaus dürfen Vertriebene, die nicht in ihren Heimatort zurückkehren wollen, in dem Ort, in dem sie sich jetzt befinden und in Zukunft leben wollen, an der Wahl teilnehmen.

Die muslimischen Parteien kritisieren nun, daß es den ursprünglich Vertiebenen schwergemacht wird, sich registrieren zu lassen. Würde dies ermöglicht, so ein Hintergedanke, wäre die muslimische Partei SDA wohl die stärkste Partei in der Stadt. Gerade dies wollen die Führer der kroatischen Nationalpartei HDZ verhindern. Der ehemalige Ministerpräsident Bosnien-Herzegowinas, Haris Silajdžić, warnte davor, mittels der Wahlen die durch den Krieg geschaffene ethnische Trennung anzuerkennen. Geschehe dies, wäre ein neuer Krieg möglich, erklärte Silajdžić gegenüber unserer Zeitung. Heute tritt in Brüssel der Ministerrat der Europäischen Union zusammen. Gestern war unklar, ob er sich mit der Frage befaßt.

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