In der Not auf Stehhilfen

■ Der Feinkostladen Topaz im Ostertor hat den Kampf mit den Behörden verloren

Ein appetitanregender Geruch durchzieht das Topaz am Ostertorsteinweg. Seeteufel, Hähnchenkeule oder Pasta brät und kocht Thomas Schmidt in der offenen Küche des „Restaurants“ (Eigenwerbung). Mit seiner Frau Holly betreibt er seit drei Jahren den Feinkostladen und „Minder-Imbiß“ (Behördenjargon) Topaz.

Die Geschäftsleute der umliegenden Läden und Büros, aber auch deren Kunden essen gern mittags in dem kleinen Laden. Sie genießen die „mediterrane Atmosphäre“, wie Helmut Koch vom gegenüberliegenden „Ilse-Moden“ Geschäft sagt. Zwischen Pesto und Parmaschinken trinkt sich der Pinot Grigio fast wie in der Toskana.

Könnten die Gäste sitzen, würden sie wohl noch länger bleiben. „Dürfen sie ja nicht“, sagt Holly Schmidt. Laut Gaststättengesetz dürfen nur Betriebe mit gastronomischer Vollkonzession Stühle aufstellen. Wein und andere Alkoholika dürfen die Schmidts daher ebenfalls nicht ausschenken. So drückten die Gäste jahrelang ihren Hintern an die Wand oder quetschten ihn auf Weinkisten, um das Kreuz beim Essen zu entlasten.

Mit Stadt- und Ortsamt handelte Geschäftsfrau Schmidt schließlich einen Kompromiß aus: Sie bekam eine Duldung für zwölf Stühle samt Tischen. Bis zum Ladenschluß um 18.30 Uhr mußte sie ihre Gäste abgespeist haben. „Dabei darf jeder Frisör bis nachts um zehn den Kundinnen die Haare färben“, erregt sich Holly Schmidt. Und nahm es mit dem Ladenschluß nicht so ganz genau. Pünktlich verschloß sie die Ladentür und ließ die Gäste sitzen.

Bei den geduldeten zwölf Stühlen blieb es auch nicht lange. Wieder quetschten Gäste ihren Hintern auf gestapelte Weinkisten. Bis ein Kontrolleur des Stadtamts dies bemerkte und über 20 Personen im Topaz in geselliger Runde zählte. Er sprach die erste Verwarnung aus. „Frau Schmidt hat die Formalien nicht eingehalten – dann müssen wir reagieren“, sagt Stadtamtsleiter Wilkens. Also kamen seine Mitarbeiter noch zwei weitere Male und hatten wieder jedesmal etwas auszusetzen. „Frau Schmidt hat nach und nach Fakten geschaffen, die wir nicht ignorieren konnten“, sagt Wilkens. Hätte er die Sitzungen im Topaz toleriert, „wäre dies eine Einfallschneise für andere gewesen“. Der Fall Topaz ging ans Verwaltungsgericht, wo Holly Schmidt in allen Punkten verlor.

Wenn es nach Wilkens ginge, könnte sie ihren Minder-Imbiß mit zwölf Stühlen dennoch weiterbetreiben. Ja, selbst eine vollwertige Konzession würde er ihr erstellen, da Schmidts die baurechtliche Zulassung bereits haben. Für 30.000 Mark hatten sie eine Lüftung einbauen lassen, ebenso wie Toiletten für Gäste und die drei Angestellten.

Einen „Gastronomiebetrieb Topaz“ verhindert jedoch ein Beschluß des Beirats Mitte/östliche Vorstadt. Anfang der achtziger Jahre hatten die Beiräte beschlossen, keine weiteren Kneipen in ihrem Machtbereich zu dulden. Das Viertel sollte nicht zum Rotlichtbezirk abrutschen. „Die zwölf Plätze waren schon ein weitreichendes Zugeständnis“, sagt Ortsamtsleiter Robert Bücking. Holly Schmidt habe ihre Gastfreundschaft übertrieben. „Der Beiratsbeschluß steht knallhart“, sagt Bücking, „das Kneipennetz im Viertel ist dicht genug“.

Um ihren guten Willen zu zeigen, hat Holly Schmidt nun alle Stühle wegeräumt. Stattdessen hat sie „Stehhilfen nach DIN-Vorschriften“ an die Bistro-Tische gerückt. Wer nicht mindestens 1,70 Meter groß ist, wird seinen halben Hintern nicht auf den Haftschalen ausruhen können. Die Geschäftsräume hat sie zum 31. August gekündigt. Sie und ihr Mann sind auf die Einnahmen aus dem Imbiß angewiesen, macht er doch zusammen mit der Feinkost die Hälfte des Umsatzes aus. Die andere Hälfte erwirtschaften sie mit einem Party-Service. Der Vermieter hat bereits angekündigt, daß er mit dem nächsten Mieter auf Nummer sicher geht: Ein Filialist soll rein. Die zahlen mehr und haben keinen Ärger mit den Behörden. ufo