High-Tech-Krieger im Boom

1.500 Experten für elektronische Kriegsführung treffen sich in Bonn. Ihre Computerviren und elektromagnetischen Impulse sollen die Kriege von Morgen entscheiden  ■ Aus Bonn Bernd Neubacher

Der Protest an den Direktor des Bonner Maritim-Hotels kam per Formular: „Sehr geehrter Herr Struzyna“, lautete der Brief, den am Wochenende etliche buntgeschminkte Gestalten zur Rezeption brachten, „als Besucher/in der Star Trek Convention in Ihrem Haus bin ich befremdet und enttäuscht, daß hier anschließend die Konferenz und Ausstellung zur elektronischen Kriegsführung stattfindet. Trekkies wollen eine Welt ohne Kriege!“

Doch exakt 30 Jahre nach den ersten Abenteuern von Captain Kirk, Pille und Spock wirken die Science-fiction-Fans wie naive Nostalgiker. In der Nobelherberge nahe dem Regierungsviertel debattieren bis Mittwoch rund 1.500 Industrielle, unter anderem die Daimler-Benz Aerospace, sowie Soldaten aus Armee, Luftwaffe und Marine die Perspektiven elektronischer Kriegsführung und anderer „Herausforderungen“. Der amerikanische Veteranenverband „Old Crows“ hat die Fachleute geladen, die der Staatssekretär im Verteidigungsministerium, Gunnar Simon, gestern mittag begrüßte. Rund 20 Menschen hatten zuvor mit einer gewaltfreien Blockade gegen die internationale Messe demonstriert, die erstmals in der Bundesrepublik stattfindet. Den Protestaufruf hatten neben den Sozialdemokraten und Grünen der Bundesstadt auch der örtliche Superintendent des Evangelischen Kirchenkreises unterstützt. „Wir hatten Probleme, überhaupt etwas auf die Platte zu bekommen“, kommentiert Manfred Stenner vom Bonner Friedensbüro die geringe Resonanz. Denn statt martialischer Waffen stehen im Mittelpunkt der „Old Crows“-Jahrestagung vielmehr „Elektro-Artikel“ aller Art – im Krieg der Zukunft blenden Computerviren die Radare feindlicher Flugkontrollen, elektromagnetische Impulse ruinieren die Rechner der Stromversorgung, der Verkehrs- und Kommunikationsstruktur, und Raketen töten um so gezielter, indem sie ihr Radar etwa am Satellitentelefon des Gegners orientieren. „Wenn es einen dritten Weltkrieg gibt“, so zitiert die militärische Fachpresse den früheren US-Generalstabschef Thomas Moorer, „dann wird der Gewinner die Seite sein, die die Nutzung des elektromagnetischen Spektrums kontrolliert.“

Der Enthusiasmus in Sachen elektronischer und informationeller Kriegsführung ist relativ neu. Zwar machten alliierte Einheiten, nach UN-Informationen, bereits im Golfkrieg vor, wie man das irakische Telefonnetz mit nichts weiter als einem Richtfunksender und einer entsprechend programmierten Rakete durchlöchert. Und das US-Verteidigungsministerium will bis 1999 für die militärische Informatik-Forschung 14,5 Milliarden Dollar ausgeben. Als aber der Bundestagsunterausschuß für Abrüstung und Rüstungskontrolle vor drei Jahren eine Studie zu den Perspektiven militärisch nutzbarer Informations- und Kommunikationstechnik veranlaßte, da taten viele Militärs diese noch als Fantasy aus der Star-Trek-Welt ab. Seither vermehren sich die Treffen von Industrie und Militär wie Viren in Computernetzen. Vorletztes Jahr hatte sich nur ein einziger internationaler Kongreß mit der Lufthoheit im Cyberspace beschäftigt, allein diesen Monat gibt es mehrere Veranstaltungen. Letzte Woche endete in der Bad Godesberger Stadthalle die Jahrestagung der „Armed Forces Communications and Electronics Association“, einer internationalen Vereinigung von Funkern und Radarleuten. Da wurden neben „professionellen Lösungen zum Virenschutz“ auch Produkte „mit militärischen Erweiterungen“ feilgeboten; neben Ständen der Deutschen Telekom AG und von Hewlett-Packard fand sich aus dem Hause Texas Instruments Deutschland auch eine „Windows- basierte Simulation ,Entdecken- Identifizieren-Bekämpfen‘“.

„Wir befürchten“, erklären die grünen Bundestagsabgeordneten Helmut Lippelt und Winfried Nachtwei, „daß nicht nur Bonn, sondern Deutschland zu einem internationalen Handelsplatz für Rüstungsgüter entwickelt werden soll.“ In Berlin findet soeben mit 500 Ausstellern die dritte Internationale Luftfahrt-Ausstellung statt, welche „der militärischen Luftfahrtindustrie als Sprungbrett nach Osteuropa schmackhaft gemacht“ wird, wie die beiden Parlamentarier meinen. Doch engagierte High-Tech-Krieger haben in diesen Tagen auch im Ausland wichtige Termine. Mit „Information Warfare“ befassen sich in diesen Tagen Experten der amerikanischen Luftwaffe, Marine und Industrie in Washington. Nächste Woche geht es dann nach Brüssel zur internationalen „infoWarcon“ der amerikanischen „National Computer Security Association (NCSA), die die „europäischen Perspektiven“ informationeller Kriegsführung erörtert. In den USA haben die Militärstrategen derweil erkannt, daß auch elektronische Krieger zu schlagen sind – mit den eigenen Waffen: Schon 1993 warben dort Zeitungsinserate um Hacker, die ihre Kunst in den Dienst des Pentagon stellen.