Richter kippten Gruselparagraphen

Kein Großer Lauschangriff in Sachsen. Der Datenschutz muß gewahrt bleiben. Verfassungsrichter geben Klägern gegen das schärfste Polizeigesetz Deutschlands weitgehend recht  ■ Aus Leipzig Detlef Krell

Leipzig (taz) – Der Sächsische Verfassungsgerichtshof fordert Nacharbeit am bisher schärfsten deutschen Polizeigesetz. Erstmals hat Sachsens Opposition erfolgreich gegen ein von der CDU- Mehrheit durchgedrücktes Gesetz geklagt.

In ihrer gestern bekanntgegebenen Entscheidung über die Klage von 41 Abgeordneten der SPD- und damaligen bündnisgrünen Landtagsfraktion gegen die in der vergangenen Legislaturperiode beschlossene Novellierung des sächsischen Polizeigesetzes, erklärten die Verfassungsrichter solche Paragraphen für nichtig, die sich auf die polizeiliche Datenerhebung im Vorfeld potentieller Straftaten beziehen. Die von den Antragstellern beanstandeten Regelungen zur Abwehr konkreter Gefahren wurden dagegen weitgehend für verfassungskonform erklärt. Bis 1998, zum Ende der Legislaturperiode, hat der Landtag Zeit, die beanstandeten Teile des Polizeigesetzes neu zu regeln. Bis dahin fordert das Gericht eine „verfassungsgemäße Auslegung“.

Die Verfassungsrichter entschieden, daß die im Polizeigesetz vorgesehene Höchstfrist von zwei Wochen für einen Vorbeugegewahrsam zur Verhinderung unmittelbar bevorstehender Gefahren für die öffentliche Sicherheit verfassungskonform sei. „Unverhältnismäßig“ sei diese Frist jedoch, wenn sie lediglich zur Durchsetzung eines Platzverweises oder zur Feststellung der Identität angewendet werde. Die Verfassungshüter fordern nun eine differenzierte Regelung über die jeweils erforderliche Höchstdauer des Polizeigewahrsams. „Insgesamt nicht vereinbar“ mit der Verfassung seien die sächsischen Regelungen über den Einsatz besonderer Mittel zur Datenerhebung.

Zwar seien die längerfristige Observation, der Einsatz verdeckter Ermittler sowie technischer Überwachungsmittel zur Abwehr gegenwärtiger Gefahren grundsätzlich nicht zu beanstanden. Allerdings gingen die Regelungen des sächsischen Polizeigesetzes über den rechtsstaatlichen Rahmen hinaus, soweit sie auch den „Vorfeldeinsatz“ der besonderen Mittel zuließen. Auch das Beichtgeheimnis wird gerettet: Verfassungswidrig sei die im Gesetz vorgesehene Erhebung von Daten, die durch Amts- und Berufsgeheimnisse gesetzlich geschützt sind. Dazu zählen auch das Arztgeheimnis und der Informantenschutz für die Presse. Der Große Lauschangriff ist passé: Die heimliche Ausforschung von Wohnungen, wie sie das von der CDU- Mehrheit beschlossene Gesetz vorsieht, sei nur teilweise verfassungskonform. „Nur unter den sehr engen rechtlichen Voraussetzungen des polizeilichen Notstandes“ dürfe der Lauschangriff auf Wohnungen von Privatpersonen zugelassen werden, die dem „potentiellen Täterkreis“ gar nicht zugerechnet werden können. Dies hätte im Gesetz geregelt werden müssen. Polizeiliche Datenerhebung bereits im „Vorfeld“ einer Gefahr sei durch die Verfassung nicht gedeckt, die Rasterfahndung allerdings verfassungsgemäß. Der Abgleich von Daten unbeteiligter Personen sei nur möglich, wenn Straftaten von erheblicher Bedeutung begangen worden sind. Während der Übergangszeit bis zur Neufassung des Polizeigesetzes dürfen verdeckte Ermittler nur mit Zustimmung des sächsischen Innenministers aktiv werden. Er muß über die Notwendigkeit dieser Maßnahmen jährlich dem Parlament Bericht erstatten.