Verrückte Maßstäbe

„Rumänien-Mafiosi freigelassen, weil Haftrichter nach Hause ging“. Skandal, dröhnen ein Oberstaatsanwalt, Vertreter der Gewerkschaft der Polizei und die veröffentlichte Meinung. Keiner tritt ihnen entgegen, nicht einmal die sozialdemokratische Justizsenatorin. Dabei offenbart das Geschrei neben rassistischen Untertönen auch Verachtung für Justizgrundrechte.

Was ist geschehen? Die Polizei nimmt einen rumänischen Staatsbürger fest. Sie vermutet, er sei ein Dieb und Räuber. Beweise für diese Vermutung hat sie nicht und findet sie nicht innerhalb der 48 Stunden, die sie den Mann längstens ohne Haftbefehl festhalten kann. Was also tun? Der Mann ist immerhin Rumäne, und – so die Erwägung – bei einem Rumänen wird man schon etwas (Strafbares) finden. Also muß man ihn auf Vorrat einsperren.

Ein Richter fand sich nicht bereit, am Sonntag länger als bis 15.15 Uhr zu warten, um sich an einer solchen Vorratsverhaftung zu beteiligen. Warum auch? Nach 36 Stunden in Polizeigewahrsam hätte die Polizei ihn auch vor 15.15 Uhr vorführen können. Der Rumäne, dem eine Straftat nicht nachzuweisen war, wird in den Medien als „Mafiaboß“, als Dieb und Räuber beschimpft. Der Oberstaatsanwalt wird mit den Worten zitiert, es sei eine Ungeheuerlichkeit, „wenn der Staat festgenommene Kriminelle wieder auf die Bürger losläßt“. Unschuldsvermutung für Rumänen? Gibt es nicht mehr! Haft nur bei dringendem Tatverdacht, der sich auf Beweise stützen kann? Gilt nicht für einen solchen Rumänen! Es ist schlimm, daß solche Leute in Berlin etwas zu sagen haben. Schlimmer aber ist, daß ihr Einfluß wächst und daß es keine liberalstaatliche Stimme mehr gibt, die sie zu übertönen sucht. Johannes Eisenberg, Rechtsanwalt