Neue Wege beschreiten

■ Read.Me: TV aus Sicht der Kinder - "Wir gucken besser fern als ihr!"

Kein anderes Medium begleitet Kinder und Jugendliche so intensiv wie das Fernsehen. Fernsehen sozialisiert die Kinder, und deshalb hat das Medium die Verpflichtung, einen angemessenen Beitrag zu Kindheit und Jugend seiner Zuschauer zu leisten. Der Titel dieses Buches von Helga Theunert, Margrit Lenssen und Bernd Schorb – „Wir gucken besser fern als ihr!“ – signalisiert mit seinem trotzigen Optimismus, daß die allgemeine Neigung zur Schwarzseherei beim Thema Kinderfernsehen nicht nur kontraproduktiv, sondern auch unangebracht ist. Kinder, so das Fazit der Autoren, sehen keineswegs wahllos fern und sie sind mitnichten so anspruchslos, wie das Fernsehprogramm suggerieren mag. Allerdings gehorcht der kindliche Fernsehkonsum anderen Regeln als jener der Erwachsenen. Das Buch will das Fernsehen aus Kinderperspektive betrachten, die Ansprüche der Kinder beschreiben und in Beispielen anführen, wie diese Ansprüche erfüllt werden können.

Im Zentrum des Buches stehen daher zwei Fragen: Welches Fernsehen wollen und brauchen Kinder? Welche Programmangebote kommen ihren Wünschen und Entwicklungsbedingungen entgegen? Diese Fragen werden zum einen anhand der Ergebnisse der Rezeptionsforschung beantwortet (wieviel Zeit verbringen Kinder mit dem Fernsehen, mit wem schauen sie, wie sehen ihre Gewohnheiten aus, was ist ihr Lieblingssender, haben sie eigene Geräte etc.), zum anderen anhand von Sendebeispielen.

Das Buch richtet sich keinesfalls in erster Linie an Menschen, die beruflich am Thema Kinder und Fernsehen interessiert sind; es soll auch Eltern helfen, die kindlichen Wahrnehmungsprozesse verstehen zu lernen. Deshalb schildern die Autoren sehr anschaulich die Entwicklungsstufen, die Kinder in den verschiedenen Altersstufen durchmachen (zum Beispiel: ab wann können Kinder zwischen Fiktion und Realität unterscheiden, wann sind ihre empathischen Fähigkeiten so weit entwickelt, daß sie auch die „andere Seite“ verstehen).

Zur Auflockerung, aber auch zum besseren Verständnis sind die Ausführungen immer wieder um Zitate Jugendlicher ergänzt; zur Vertiefung typischer Beispiele werden mitunter auch ganze Einzelfälle geschildert. Aus der Solidarität der Autoren mit den Kindern als TV-Zuschauern resultiert jedoch keineswegs eine unkritische Haltung dem Fernsehen gegenüber. Vehement kritisieren sie vielmehr, daß Kinderprogramme zum Beispiel den Mädchen viel zu oft nur eindimensionale Identifikationsfiguren anböten.

Der zweite Teil des Buches bietet beispielhafte Sendungen aus den verschiedensten Genres, die die unterschiedlichen Bedürfnisse und Fähigkeiten der jungen Zuschauer befriedigen und auch die verschiedenartigen Wünsche von Jungen und Mädchen berücksichtigen. Stets wird dabei die jeweilige Sendung ausführlich geschildert und sodann – wiederum mit Kinderzitaten – erklärt, warum diese Sendung vorbildlich ist.

Das überaus informative Buch schließt mit einem Plädoyer für ein Qualitätsfernsehen für Kinder, das sich vor allem all jene Sender, die sich als Kinderparadies verstehen (Slogan von Nickelodeon: „Just for Kids“), zu eigen machen sollten. Tilmann P. Gangloff

Helga Theunert, Margrit Lenssen, Bernd Schorb: „Wir gucken bessern fern als ihr! Fernsehen für Kinder“, Edition Internationales Zentralinstitut für das Jugend- und Bildungsfernsehen, KoPäd-Verlag, München, 184 Seiten, 30 DM