Ein Leben unter der blauen Dunstwolke

■ Manche Menschen rauchen, wenn sie gestreßt sind. Nichtraucher in der gleichen Lage futtern Schokolade – ein gesunder Lebenswandel hängt nicht nur vom Rauchen ab

Die Pausenklingel schrillt, daß einem fast die Ohren abfallen. Die Schüler des Nelly-Sachs-Gymnasiums in Köpenick strömen wie auf Knopfdruck aus den Klassenzimmern ins Freie. Zigarettenpäckchen werden hektisch hervorgezogen und binnen Sekunden hängen dichte Rauchschwaden über den Schülergrüppchen. Wer nicht raucht, nimmt Abstand, aber unter den sechzehn bis neunzehnjährigen Gymnasiasten sind das sowieso nicht allzu viele.

„Ich rauche, weil das für mich zur Pause dazugehört“, sagt Mandy, und es klingt wie ein Werbeslogan. Auch ihre Mitschüler sehen das so. „Die zwei Jahre vorm Abitur wird von uns tierisch viel verlangt, das streßt“, meint Susanne. Streß als Grund fürs hektische Ziehen an der Zigarette zwischen zwei Schulstunden? Mandy spürt den Unterschied, wenn sie Ferien hat. „Dann rauche ich höchstens eine am Tag“, behauptet sie, und die anderen nicken.

Wer Streß hat, raucht – eine Tatsache, die nicht nur auf dem Schulhof gilt. Trotz Fitneßfieber und Yogawelle ist der Griff nach der Zigarette ungebrochen. Über 135 Milliarden Fluppen wurden 1995 allein in Deutschland gequarzt, immerhin knapp eine Milliarde mehr als 1994. Daß es die Zigarettenindustrie vor allem auf jüngere Raucher abgesehen hat, macht sich an der Werbung bemerkbar. Jung, kreativ und sexy grinsen die Werbebotschafter von den Plakatwänden.

Raucher um die 30 denken dagegen eher ans Aufhören. Entweder reicht die Puste nicht mehr, Frau kriegt ein Kind, oder die Angst vor Lungenkrebs & Co vergällt einem den Genuß. „Dieses Zittern nach dem Aufstehen, der erste Griff immer nach der Zigarette, das wollte ich irgendwann nicht mehr“, berichtet Ex-Kettenraucherin Julia. Akupunktur hat ihr geholfen, von der Sucht loszukommen, andere schwören hingegen auf Hypnose oder den radikalen Bruch mit der Gewohnheit: aufhören von einem Tag zum anderen.

Fehlt allerdings der Durchhaltewillen, kann man sich die Mühe ersparen. Ute zum Beispiel hatte sich vor zwei Jahren erfolgreich vom Club der Raucher verabschiedet. Jetzt ist sie frisch verliebt, und das ausgerechnet in einen Raucher. Neulich hat sie ihm erlaubt, in ihrer Wohnung zu rauchen und fand das gar nicht so schlimm. Resultat: Ute quarzt selber wieder, wenn auch nur gelegentlich.

„Ab und zu mal eine Zigarette, das ist doch eigentlich auch in Ordnung“, findet die Studentin mittlerweile und mit ihr noch eine Menge anderer Gelegenheitsraucher. „Eine Zigarette als Abschluß nach einem guten Essen, warum nicht?“ meint auch Kollegin Anne, die manchmal wochenlang überhaupt nicht raucht. Mit Extremen kann sie nicht viel anfangen, weshalb ihr auch die Trennung zwischen Rauchen und Nichtrauchen suspekt ist. „Genuß in Maßen, das gilt für mich in jeder Beziehung.“

Daß einem die völlige Abstinenz von der Zigarette im Alltag reichlich schwer fällt, ist allerdings kein Wunder. Wer eine Zeitlang rauchfrei leben will, um seine Sucht zu überwinden, vereinsamt schnell. Kneipenbesuche fallen flach, rauchende Freunde sind ein rotes Tuch, und der Streit am Arbeitsplatz ist programmiert. Bleiben oft nur Selbsthilfegruppen, wie sie etwa der Nichtraucherbund anbietet, um wenigstens das Selbstbewußtsein gegen den Rauch des Umfelds aufzupäppeln.

Kneipen und Restaurants, in denen nicht geraucht werden darf, sind nach wie vor selten, weshalb Nichtraucher ihre Lokale nicht nach dem Biersortiment aussuchen, sondern vor allem nach der Funktionstüchtigkeit des Rauchabzugs. Zu Hause darf bei ihnen natürlich überhaupt nicht mehr geraucht werden, und süchtige Mitmenschen werden auch im Winter eiskalt auf den Balkon gewiesen. Spätestens dort fragt sich jeder Quarzer mit steifgefrorenen Fingern, was er da eigentlich macht und ob Frostbeulen das geeignete Opfer für einen Glimmstengel sind.

Daß Nichtrauchen allein auch nicht glücklich macht, muß zum Trost aller Raucher auch mal gesagt sein. Als Streßkompensatoren eignen sich statt Zigaretten nämlich auch prima Gummibärchen oder Schokolade. Und wer mal in die Schubladen zigarettenloser Zeitgenossen kuckt, wird feststellen, daß die Zuckerindustrie an rauchfreien Orten kräftig mitverdient. Christine Berger