■ Stützen gegen den Krankheitsfall auf der MediVital
: Flüssiggras und Nackenhörnchen

Ihr Mmhm sagt alles. Auf der Fachmesse für Medizin und (!) Gesundheit „MediVital“ ist Frau Doktor Antje Schöne-Kühnemann damit unersetzlich. Der neben ihr sitzende Onkel Doktor, der über böse Krankheiten plaudert, bleibt Staffage. Dieses Mmhm, das an einer „Energietankstelle“ – acht Minuten entspannen, sieben Stunden wohlfühlen – endlos vom Videoband kommt, tröstet uns: Krankheit hin oder her, das Leben ist eine wunderbare Chance, gesund, vital und fit zu sein. Ein kassenschonendes Rezept dazu? In zwei „publikumsoffenen“ Hallen auf dem Messegelände bekommt man es an Leib und Seel' zu spüren.

Gesundheit beginnt mit der Schutzvorrichtung. Richtig also, daß Dr. phil. Kohfink aus Augsburg, „Senator der Europäischen Union der Senatoren“, seine „Entstrahlungs“-Platten am Halleneingang plaziert. Sie beseitigen Radioaktivität und sind für Körper (Typ „KRP80“) und Lebensmittel („KRP22“) gedacht. Bergkristall macht's möglich. Zehn Kilo kosten 11.500 Mark. Günstiger werden außerplanetarische Strahlen von Terracos-X aus 56 581 Kurtscheid geschluckt. Der Stecker für 130 Mark „neutralisiert“ außerdem Elektrosmog und „verstärkt“ Personenenergie. Bei Kinderlosigkeit, Stottern, Allergien usw. hilft das Bio-Resonanz-Gerät RAYOCOMP PS 1000. Die schwingungstechnische Begleitschrift – Volkskörperideologen aufgepaßt!– steht unter dem Motto „wer heilt, hat recht“.

Im Mittelpunkt der Gesundheit in Halle 11 steht der Schmerz. Ein sitzender und gehender Mensch leidet eben. Deshalb werden Möbel, Bälle und Gürtel erfunden. Wer sich auf dem Stuhl „Achtung flexi-bel“ niederläßt, sackt plötzlich ab, kippt dann nach hinten, sucht mit den Beinen vergeblich Halt und kommt erst zur Besinnung, wenn das Gesäß wieder oben ist. Der BKK-FIT-Ball ist ehrlicher. Rund und damit instabil, fordert er nicht zum Sitzen auf, sondern zum beliebten Beckenkreisen.

Ein „Nada-Chair“ aus USA entpuppt sich als Instrument zur Selbstfesselung. Immerhin, wer diesen Gürtel trägt, sitzt stockgerade – und somit gefährlich. „Entanglement, injury or death may occur“ steht auf dem Innenfutter, gemeint sind aber nur die Autofahrer.

Eine „Wunderreflexzonensohle“ aus Zürich macht den meist unvermeidlichen Bodenkontakt beim Gehen erträglicher. Im Werbeprospekt hat diese Sohle eine Stimme: „Ich befreie dich von deiner Alltagsmüdigkeit. Bringe Leben in deine Füße und stärke deine Fußmuskulatur.“

Am gesündesten ist noch immer „Ruhen, immer nur Ruhen“, bei ständigem Bewegtwerden natürlich. In Halle 17 stehen planschbeckengroße Whirlpools, Knuddel-, Knet- und Knuffsessel, Pritschen und Bahren. Sie rütteln die verspannten Ecken und Enden durch. Selbst Kissen vibrieren, ein „Activator-Holiday“ zum Aufsetzen bringt angenehmes Licht und wohligen Laut. Das Dinkelspreu- „Nackenhörnchen“ schenkt sanfte Ruh'.

In dem „ganz doll wichtigen“ Ernährungsbereich der „Vitamine“ ist das Neueste: „Vitabs VMS II“ gegen „Freie Radikale“ und andere Sympathisanten. Die geschlechtsspezifische knoblauchgeruchsneutrale „Vitalette“ hat 22 Vorteile. Fast so viele wie „Green Magma“, ein verflüssigtes Gesundheitsgras und das noch rezeptfreie Heilmittel der Kurverwaltung Bad Orb: „Sauerstoff ist Leben“. Solange die Wissenschaft nicht das Gegenteil beweist, bleibt die Kurstadt attraktiv.

Mit den Horror-Ständen der Deutschen Krebshilfe und der Alzheimer-Gesellschaft ist man beim Ende der Gesundheit angelangt. Wären sie nicht, wären die Stände mit den Stützstrümpfen, Rollstühlen und Badewannenliften nicht, man könnte glauben, so einige hätten nur die Chance zum Fit- und Vitalsein verpaßt. Mmhm. Eine Diagnose wie aus dem Bundeskanzleramt. Stephan Schurr

MediVital. Messegelände Berlin (Eingang Kleiner Stern). Hallen 11 und 17, heute 10 bis 18 Uhr