■ Bärbel Bohley und andere Bürgerrechtler gründen mit Helmut Kohl ein Bürgerbüro. Die Frage ist: Wozu?
: Eine merkwürdige Allianz

Bärbel Bohley und Bundeskanzler Helmut Kohl überraschten vor einiger Zeit die erstaunte Öffentlichkeit mit der Absicht, zusammen mit anderen Bürgerrechtlern und Vertretern aus Politik, Wirtschaft und Kultur ein Bürgerbüro zu gründen. Genaueres weiß man nicht, weil die Ziele – bisher jedenfalls – öffentlich nicht diskutiert worden sind. Lediglich in einem Spiegel-Leserbrief schrieb Bärbel Bohley, daß sie sich um Menschen kümmern will, „die in der DDR keine Chance hatten und heute auch durch das Netz von Gesetzen und Verordnungen fallen beziehungsweise durch neue Seilschaften wieder in ihren Rechten behindert werden“.

Warum sie gerade in Helmut Kohl den geeigneten Bündnispartner für die Durchsetzung berechtigter Ansprüche sieht, bleibt ihr Geheimnis. Will sie etwa zum Beispiel mit Helmut Kohl zusammen der 76jährigen Frau Hildebrandt helfen, das Grundstück zurückzubekommen, das ihr wegen des Mauerbaus weggenommen worden war? Oder soll Hemut Kohl dafür sorgen, daß der Georg-Büchner-Preisträger Wolf Biermann endlich in die Akademie der Künste aufgenommen wird? Will sie der Öffentlichkeit vielleicht erklären, warum der erste Kohl-Besuch in ihrer Wohnung – kurz vor den Berliner Wahlen – medienwirksam inszeniert wurde, während der zweite mit äußerster Diskretion stattfand? Meint sie mit „neue Seilschaften“ nur die der PDS oder auch die der alten Blockflöten im neuen CDU-Gewande?

Wie gesagt, was Bärbel Bohley will, bleibt der Öffentlichkeit verschlossen. Aber der ewig unterschätzte Politstratege Helmut Kohl weiß hingegen ganz genau, was er will: mit der Umarmung der Bürgerrechtler von seinen machtpolitischen Untugenden ablenken.

Und dieses Ablenkungsmanöver ist auch nötig – insbesondere seit Lafontaine mit dem Scharpingschen Schmusekurs Schluß gemacht hat und aggressiv darauf hinweist, daß „Helmut Kohl 1994 nur mit den Stimmen von DDR- Altkadern zum Bundeskanzler gewählt worden ist, die für Mauerbau, Todesstreifen und Schießbefehl Verantwortung trugen“.

Erinnern wir uns: In der DDR gab es neben der SED die CDU, zudem die Deutsche Bauernpartei Deutschlands (DBD), die Liberaldemokratische Partei Deutschlands (LDPD) und die Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NDPD). Unbeschadet ihrer unterschiedlichen Herkunft entwickelten sich – selbstverständlich unter der Führung der SED – die vier anderen „Blockparteien“ zu verläßlichen Garanten der DDR-Diktatur. Dafür wurden ihre Funktionäre mit Posten in einflußreichen Staatsämtern belohnt. So war zum Beispiel LDPD-Mitglied Gerlach Honeckers Stellvertreter, CDU- Mitglied Reichel DDR-Umweltminister.

Für die westdeutsche CDU waren die DDR-Parteien allesamt „kommunistische Organisationen“. Deshalb lehnten sie vor 1989 auch jegliche Beziehungen zu den Blockparteien ab. Nach 89 sah das anders aus. LDPD und NDPD fusionierten mit der FDP, CDU (Ost) und DBD mit der Kohl- CDU. Die Westparteien lockte weniger das Vermögen der Blockparteien als deren Mitgliederstamm und ihre funktionstüchtigen Parteiapparate. Mit deren Hilfe hofften sie den unbelasteten und unerfahrenen Parteien SPD und Bündnis 90 bei der ersten gesamtdeutschen Wahl 1990 taktisch überlegen zu sein. Was die Ost- Parteienlandschaft betrifft, unterscheidet sich Bundeskanzler Kohl von Gregor Gysi vor allem dadurch, daß er „Rechtsnachfolger“ nicht nur von einer, sondern gleich von zwei DDR-Parteien ist, die sich der Diktatur verpflichtet wußten. So wurden aus alten „CDU- Kommunisten“ über Nacht geläuterte „Christdemokraten“, ein demokratischer Lernprozeß, den die CDU den Mitgliedern der SED/ PDS bis heute nicht zubilligt.

So war es aus Sicht der CDU auch völlig unproblematisch, daß Ministerpräsident Seite (CDU) in Mecklenburg-Vorpommern seine knappe Mehrheit jahrelang auf seinen Parteifreund Kühne stützte. Kühne hatte ab 1967 über 20 Jahre lang in der DDR-Volkskammer für Honeckers Politik die Hand gehoben und konnte seine Politkarriere nach der Wende nahtlos für die CDU fortsetzen. Wie sehr die Wandlung zu Demokraten an der Oberfläche blieb, zeigen folgende Beispiele: Berlins ehemaliger Gesundheitssenator Luther, CDU- Blockflöte seit 1963, lobte öffentlich die schnellen Entscheidungsprozesse in einer „guten Diktatur“. Der stellvertretende Berliner Fraktionsvorsitzende und DDR- Verdienstorden-Träger Niedergesäß, CDU-Blockflöte seit 1958, sagt im Oktober 1995: „Mir ist im übrigen ein ehemaliger Oberst der NVA, der meinetwegen als Bataillonskommandant Verantwortung für Menschen trug, lieber als ein grün-alternativer Lehrer aus Westberlin.“

Die Selbstdarstellung der CDU als Bollwerk gegen die SED-Nachfolgepartei PDS widerspricht ihrer täglichen Praxis. In Brandenburg gibt es zahlreiche CDU-Bürgermeister von PDS-Gnaden und zahlreiche PDS-Bürgermeister von CDU-Gnaden. Auch bei Landräten funktioniert die CDU- PDS-Connection hervorragend. CDU und PDS setzten gegen den massiven Widerstand von Bohley und Fuchs auch gemeinsam durch, daß in der Akademie der Künste Berlin-Brandenburg die ehemaligen Honecker-Berater in Sachen Kunst ihre Arbeit nun als Berater von Stolpe und Diepgen fortsetzen können. In Berlin wurden – entgegen der Wahlaussage – PDS-Bürgermeister auch mit Stimmen der CDU inthronisiert. Ebenso war es nur durch gemeinsames Abstimmungsverhalten von CDU und PDS im Abgeordnetenhaus von Berlin möglich, daß in Erweiterung der Modrow-Gesetze landeseigene Grundstücke zu Vorzugspreisen an DDR-Altkader vergeben werden konnten.

In Bonn lehnten CDU und PDS in trauter Einigkeit die Rückgabe der Mauergrundstücke an die ehemaligen Eigentümer ab. „Der Mauerbau war rechtmäßig!“ sagt die PDS aus ideologischen und die Bundesregierung aus materiellen Gründen. Als „Verteidigungsanlagen“ der DDR sind die Mauergrundstücke nämlich in ihren Besitz übergegangen, auf den sie nicht verzichten möchte.

Beim Bürgerbüro bleibt hingegen die spannende Frage, ob sich Bärbel Bohley, Jürgen Fuchs und andere für das Kohlsche Ablenkungsmanöver instrumentalisieren und sich ihren unabhängigen Schneid abkaufen lassen. Oder ob sie die CDU-Blockflötenvergangenheit mit derselben moralischen Elle messen und bewerten, die sie bei Stolpe angelegt haben. Michael Cramer