■ Ökolumne
: Keine Zukunft, nirgends Von H.-J. Tenhagen

Es war einmal die aufstrebende Stadt Waco im Osten von Texas. Um die Jahrhundertwende zogen die Rinderherden durch den Ort auf ihrem Weg zu den Schlachthöfen im Mittelwesten. Die Stadtväter hatten eine Stahlbrücke bauen lassen über ihren Fluß, den Brazos. Die Brücke war so modern, daß sie das Vorbild der Brooklyn Bridge wurde. Downtown Waco entstand das größte Hochhaus westlich des Mississippi und südlich von St. Louis. Waco war die Metropole – Dallas, zwei Tagesritte entfernt, das Präriekaff.

Es war einmal ein Standort Deutschland. Kohle, Stahl, Chemie, viele Ingenieure und noch mehr Patente. Die Nachbarn sprachen vom Wirtschaftswunderland und vom Weltmeister Deutschland. Made in Germany war Vorbild, stand für technische Neuerungen, für Zukunft der Industriegesellschaft. Als Industrie und Regierung sich anschickten, den blauen Himmel über der Ruhr Wirklichkeit werden zu lassen, lachten die europäischen Nachbarn zunächst, um dann selbst deutsche Technik zu installieren. Die deutsche Umweltindustrie stand noch einmal für Zukunft.

Waco, die texanische Stadt, hörte irgendwann auf zu wachsen. Nicht etwa, weil die Pioniere im Osten von Texas müde oder die Rinder weniger geworden wären. Vielmehr haben die sieben mächtigen Familien der Stadt damals entschieden, daß es jetzt gut sei mit der Entwicklung. Neue Ideen, nein danke. Sie könnten womöglich die Machtbalance zwischen den Familien durcheinanderbringen.

Nichts Neues für Deutschland hat auch die Bundesregierung in Bonn entschieden. Die Mächtigen haben sich eingerichtet, das Regierungsprogramm sieht große Reformen nicht mehr vor. Umverteilung der Arbeit, Rentenreform und ökologischer Umbau – mehr als Trippelschritte sind der Regierung ein Greuel. Umverteilt wird, wenn überhaupt, zugunsten derer, die haben. Im vergangenen Jahr, als die Reformdiskussion doch noch einmal laut wurde, gewährte Helmut Kohl persönlich den industriellen Dinosauriern Bestandsschutz. Selbst die Junge Union hatte auf Ökosteuern gedrängt. Doch so etwas werde es mit ihm nicht geben, versprach der Kanzler der Industrie im trauten Gespräch. Ob die konservative Regierung in Großbritannien eine regelmäßige Erhöhung der Mineralölsteuer beschließt, war Kohl wurscht. Und ebenso, daß die Dänen Ökosteuern erlassen und trotzdem billigeren Kohlestrom anbieten können.

Die alte Industrie war's zufrieden. Und Klaus Peter Repnik, zuvor von der Unionsfraktion ausgeguckt, eigene Öko-Steuer-Ideen zu entwickeln, wurde zurückgepfiffen. Die Nachdenklichen in der Union kuschten vor der Macht. Weiter so, statt Reform: Zum Verzicht auf die Ökosteuern kam der Stillstand beim geplanten Naturschutzgesetz, das auch die Bauern verpflichten würde, die Umwelt zu schützen. Das geplante Bodenschutzgesetz, das auch die Industrie zum Erhalt der Erde verpflichten würde, dümpelt dahin.

Die Schattenseiten des Kohlschen Bestandsschutzes zeigen sich schon. Keine Aussicht auf die Öko-Steuer – die Solarindustrie zieht ab in die USA, Windkraftunternehmen wie Südwind droht die Pleite. Keine scharfen Regelungen für Autoabgase – Patente für umweltschonendere Autos werden heute vor allem in den USA entwickelt. Kein Bodenschutzgesetz – nach den Kameras, Hifi-Geräten und Computern wird Weltmeister Deutschland nun auch im Umwelttechnikmarkt zweitklassig. 1995 haben die USA Deutschland beim Export von Umwelttechnik erstmals überrundet. Die deutschen Unternehmen betreiben eine spezielle Art von Marketing, sie heulen und klagen. Die Kunden im Rest der Welt suchten nach preiswerteren Angeboten – im Internet.

Das Präriekaff Dallas ist heute 15 mal so groß wie Waco. In Dallas werden die Entscheidungen getroffen, die die ökonomische Zukunft von Waco mitbestimmen. Und was wird aus Deutschland?