Der Agent aus der „Bild“-Redaktion

Aus Gefallsucht wurde der Journalist Andreas J. zum Geheimdienstmann der Stasi. Die Schnüffelei hat ein gerichtliches Nachspiel. Das Urteil: Bewährung und 30.000 Mark Geldstrafe  ■ Aus Berlin Ute Scheub

Aus Gefallsucht fiel er so tief. Dabei wollte Andreas J., 37, Boulevardjournalist, hoch hinaus. Linke wie Rechte verriet er an die Stasi. Das Berliner Kammergericht verurteilte ihn gestern zu zwei Jahren auf Bewährung plus 30.000 Mark Geldbuße.

Hinter der politisch-journalistischen Sauerei verbirgt sich durchaus persönliche Tragik. Der 37jährige Angeklagte, akkurate Kleidung, glattes Gesicht, wirkt von ferne wie ein alter Mann und von nahem wie ein Kind. Der einzige Sohn einer Hamburger Beamtenfamilie trat schon als Sechsjähriger im NDR-Kinderfunk als Sprecher auf, mit 15 schrieb er Kolumnen für den Stern. Doch so frühreif das Wunderkind damals war, so wenig gelang es ihm später, sich weiterzuentwickeln. Hauptmovens seines Lebens war es offenbar, allen Autoritäten zu gefallen – auch der Stasi und zuletzt dem Staatsanwalt. „Ich bereue zutiefst“, erklärte er dem immer wieder. Erst als der väterlich Milde von der Forderung nach einer Haftstrafe absieht, hört sein Fuß auf, nervös zu wippen.

Mit 17 geriet Andreas J. in die Fänge der Stasi. Als Leser der DDR-Fernsehzeitschrift ff dabei hatte er eine Einladung nach Ostberlin erhalten, wurde aber an der Grenze aus dem Zug geholt. „Du kannst nicht mehr zurück“, setzte die Stasi ihn unter Druck, „wenn du nicht mit uns zusammenarbeitest.“ Nach einigen Treffs in Ostberlin offenbarte er sich dem Verfassungsschutz. Ein Verfahren wurde eingestellt, aber wieder aufgenommen, als er erneut nach Ostberlin fahren wollte. 1977 wurde er wegen seiner Stasi-Kontakte zum ersten Mal verurteilt. Die staatliche Seite war die erste, die seine Bewährungsauflage, Geheimdienste zu meiden, durchbrach. Ein NPD-Sicherheitsfunktionär und V-Mann des Staats- und Verfassungsschutzes stachelte den ideologisch Haltlosen an, er solle die RAF und den Kommunistischen Bund infiltrieren. BKA-Mitarbeiter fragten ihn, ob er Kontakte zur RAF machen könnte.

Andreas J. aber wollte eigentlich nur eins: Journalist werden. Springer und NDR wollten den Vorbestraften nicht haben, aber das damalige Berliner Boulevardblatt Abend stellte ihn 1980 ein. Als in Polen Solidarność gegründet wurde, sollte der Jungjournalist Lech Walesa kontaktieren. Doch sein alter Stasi-Führungsoffizier fing ihn noch in Ostberlin ab. Sein Angebot: Reisefreiheit im Ostblock gegen Infos. In einer Blitzkarriere wurde Andreas J. Ost-West-Sonderkorrespondent, 1983 wechselte er zu Bild Hamburg, Einreiseprobleme hatte er nirgendwo mehr.

Etwa achtmal im Jahr traf er sich mit der Stasi. Anfangs lieferte er seine RAF-Aufzeichnungen, später war es Material über das Privatleben seiner Kollegen, Briefe hilfesuchender Bild-Leser, Unterlagen über Fluchthelfer, Aktivisten der „Internationalen Gesellschaft für Menschenrechte“ oder der Berliner „Arbeitsgemeinschaft 13. August“. Agentenlohn: rund 5.000 Mark jährlich.

Er habe das damals nicht gewußt, aber sein Ausbilder beim Abend sei KGB-Mann und sein Betreuer bei Bild sei ebenfalls Mitarbeiter der Stasi gewesen, so der Angeklagte. Mit seiner Verhaftung vor einem Jahr nahm der Aufstieg des Andreas J. ein jähes Ende. Jetzt ist er Werbeberater und wohnt wieder dort, wo alles begann – bei seinen Eltern.