Tauchurlaub mit Saint-Saens

■ Oper: Pinchas Steinberg gab „Samson und Dalila“ Konturen

Über hundert Jahre ist sie alt, und allein in Frankreich an die tausendmal erklungen: Die Oper Samson und Dalila von Camille Saint-Saens. In ihrer letzten Premiere vor der Sommerpause präsentierte die Hamburg Oper das Werk als Leckerbissen: Zum einen, weil konzertant, zum anderen, weil die NDR-Sinfoniker an die Dammtorstraße geladen waren.

Neben der Mezzosopranistin Olga Borodina sind es vor allem der Dirigent Pinchas Steinberg und die hervorragenden NDR-Sinfoniker, die das Werk zum Erlebnis gestalten. Steinberg widersteht allen impressionistischen Attitüden und entscheidet sich für die Durchsichtigkeit der Instrumentation. Ein Diminuendo des Chores nimmt er schnell zurück, damit das darunterliegende Orchester hörbar wird. Kaum ist der Streicherteppich verklungen, schon setzt er die Bläser an zu einer rhythmischen Linie, die keinesfalls vorsichtig aus dem Verklungenen erwächst, sondern im Gegenteil klar und eigenständig in die Zukunft schreitet. Liebevoll bückt er sich am Ende der vierten Szene und bringt seine Streicher zu Bett, um sie gleich darauf aus der Hocke zur fünften Szene wieder zu erwecken.

Der zweite Akt ist ganz den Solisten gewidmet. Olga Borodina blüht auf in ihrer Rolle als listig-verführerische Dalila, vor allem in der berühmten Liebeskantilene mit Samson. Lyrisch erklingt ihr Mezzosopran, von leise erwachend bis stark und ausdauernd. Trotzig wirft sie den Kopf nach hinten, und selbst in dieser Position erklingt ihre Stimme noch ohne Einbußen.

Saint-Saens' Komposition ist ein Tauchurlaub, vor allem in diesem zweiten Akt: Arpeggien steigen auf wie Luftblasen, überall wedelt und bewegt sich was. Chromatische Holzbläserpassagen schlängeln sich in Windeseile vorbei, eng parallel geführt, wie zwei Meerestiere, die sich im Liebesrausch verfolgen.

Kein Häärchen krümmt sich dagegen beim Gesang des Samson (Carlo Cossutta), der blaß ausfällt gegenüber der Dalila. „Je t'aime“ schreit er der Geliebten entgegen, um die Höhe der Tonleiter zu bewältigen. Jean-Philippe Lafont langweilt als Oberpriester mit einer lauten und schepperigen Vibrato-Soße. Welch eine Wohltat dagegen die Baß-Stimme von Francesco Ellero d'Artegna im ersten Akt, der von allen Männern an diesem Abend am besten seinen gesamten Körper als Klaghohlraum zu öffnen weiß.

Der dritte Akt verrät, daß der Komponist das Werk zunächst als Oratorium angelegt hatte. Der NDR-Chor und der Prager Kammerchor harmonieren bis ins Detail. Gabriele Wittmann