Ring frei für die zweite Runde

■ Bei den Wahlen um das Bürgermeisteramt in St. Petersburg muß Stadtoberhaupt Anatoli Sobtschak in die Stichwahl

St. Petersburg (taz) – Bei den Kommunalwahlen in St. Petersburg wird eine Stichwahl zwischen Amtsinhaber Anatoli Sobtschak und seinem Stellvertreter Wladimir Jakowlew über den künftigen Bürgermeister entscheiden. Bei dem ersten Durchgang der Wahlen, die als Test für die Präsidentenwahlen am 16. Juni gelten, erreichte der Reformpolitiker Sobtschak vorläufigen Ergebnissen zufolge am vergangenen Sonntag 29 Prozent der Stimmen. Auf seinen Stellvertreter Jakowlew entfielen 21,8 Prozent. Juri Boldyrew, Exmitglied der liberalen Jabloko-Partei, landete mit 17,1 Prozent der Stimmen auf dem dritten Platz.

Die Wahlbeteiligung lag bei 43 Prozent. Leonid Keselman vom Soziologischen Zentrum in St. Petersburg wertete die niedrige Beteiligung als Zeichen stabiler politischer Verhältnisse. Die Tatsache, daß sich die Mehrheit der Wähler für demokratische Kandidaten entschieden habe, zeige, daß es in St. Petersburg um einen Kampf der Demokraten und nicht wie anderswo in Rußland um einen Kampf der Systeme gehe.

Ob Anatoli Sobtschak die Stichwahl für sich entscheiden kann, wird wesentlich davon abhängen, wie sich der Drittplazierte, Juri Boldyrew, verhalten wird. Sein relativ gutes Abschneiden wird als Zeichen dafür gewertet, daß ein großer Teil der St. PetersburgerInnen eine Fortsetzung des bisherigen Kurses wünscht, aber mit deutlichen Korrekturen und neuen Gesichtern. Boldyrew kritisierte im Wahlkampf vor allem Korruption und Machtmißbrauch der jetzigen Regierung. Angesichts seiner gegen Sobtschaks Regierungsstil gerichteten Vorwürfe spricht viel dafür, daß er vor der Stichwahl eine Empfehlung für Jakowlew abgegeben könnte. Sobtschak werden für einen solchen Fall wenig Chancen eingeräumt, die Wahl zu gewinnen. Ursprünglich hatte die Wahlkommission die Stichwahl für den kommenden Sonntag ansetzen wollen. Das Wahlgesetz schreibt jedoch vor, daß der zweite Durchgang frühestens zwei Wochen, spätestens jedoch 30 Tage nach dem ersten Wahlgang stattfinden muß. So werden die St. PetersburgerInnen voraussichtlich am 3. Juni über den künftigen Bürgermeister entscheiden. rw/bo