Multitalent des Sports

Erfolgreich als Athlet und Funktionär: Willi Daume, der am Montag in München fast 83jährig starb  ■ Von Wolfgang Maennig

Was man auch schreibt, es klingt irgendwie trocken für den großen Menschen- und Athletenfreund Willi Daume. Sicher, er war der wichtigste Sportfunktionär im Nachkriegsdeutschland und darüber hinaus. Ob Vizepräsident des IOC, Präsident des NOK, der Sporthilfe oder des DSB, es gibt kaum ein herausragendes Amt im Sport, das er nicht bekleidet hat. Kaum eine der großen sportlichen Entwicklungen ist ohne ihn denkbar.

Er hat die Olympischen Spiele 1972 für München akquiriert, geplant und durchgeführt. Die fröhlichen, bahnbrechenden Spiele sollten es nach dem Willen von Willi Daume werden. Angesichts der damaligen Begeisterung der Bevölkerung, der neuartigen Ästhetik- und Designentwürfe und der wegweisenden Architektur wären sie es geworden, wenn es nicht – bahnbrechend für die gesamte Weltpolitik, aber in die falsche Richtung – zu dem Attentat auf die israelischen Sportler gekommen wäre.

Die Erzählungen über „seine“ Spiele zeigten viel über den Menschen Willi Daume. Natürlich die tiefsitzende Trauer über den Tod der Israelis – gegenüber den Terroristen fassungsloses Unverständnis, aber kein Haß. Er berichtete, daß es damals noch weitere anonyme Drohungen gab, daß ein Flugzeug die Abschlußfeier zerbomben werde. Tatsächlich bewegte sich während der kritischen Stunden ein zunächst nicht identifizierbares Flugzeug auf München zu. Viele setzten sich für eine Räumung des Stadions ein – Willi Daume verhinderte es mit allen Kräften. Er konnte sich einfach nicht vorstellen, daß jemand ernsthaft die Abschlußfeier seines großen „Friedensfestes“ stören wollte.

Mindestens gleichen Raum in seinen Erzählungen über München 1972 nahmen scheinbar unwichtige Anekdoten ein: Wie die damalige Chef-Hosteß Silvia ihren späteren Mann, den schwedischen König, kennenlernte und am nächsten Tag in Tränen aufgelöst vor ihm stand. Wie er persönlich, ausgerüstet mit Nadel und Faden, nach Protesten der DDR, den Adler auf der bundesdeutschen Flagge im Olympiastadion befestigte.

Willi Daume war ein charmanter, kraftvoller Sportmanager. Was ihn so einzigartig machte, war jedoch seine unverrückbare Sympathie für die Athleten und sein „Weltengeist“, seine humanistische Denkweise, seine Ästhetik.

Seine Solidarität mit den Sportlerinnen und Sportlern ist wohl auch damit zu erklären, daß er selbst unter schlechten sportlichen Entscheidungen gelitten hat. Willi Daume war in jüngeren Jahren ein sportliches Multitalent; ein bemerkenswerter Leichtathlet, der mit einem Stil, von dem die meisten heute schon nicht mehr wissen, daß er „Scherensprung“ hieß, seine eigene Körpergröße um elf Zentimeter übersprang. Und ein exzellenter Handballtorwart, der über Jahre hinweg das Rückgrat des Erfolges von Eintracht Dortmund darstellte. Aufgrund dieser Leistung wurde er in die deutsche Feldhandball-Olympiamannschaft von 1936 berufen, die ihrer Favoritenstellung gerecht wurde und überlegen vor rund 100.000 Zuschauern die Goldmedaille gewann. Leider aber ohne Willi Daume, denn er wurde ob seiner Vielseitigkeit von den damaligen Entscheidungsträgern, die unbedingt in allen Sportarten eine deutsche Mannschaft präsentieren wollten, in die Basketballmannschaft delegiert, die bald chancenlos ausschied.

Willi Daume kannte den Schmerz um eine verronnene Goldmedaille, und vor diesem Hintergrund wird sein vehementer Widerstand gegen den Olympiaboykott von 1980 klar, der zahlreiche deutsche Athletinnen und Athleten um ihre Hoffnungen betrog. Er wußte, daß der Boykott sportlich und politisch falsch war, konnte sich aber nicht durchsetzen. Die Tatsache, daß heute fast alle den Boykott für falsch halten, zeigt, daß Willi Daume dem damaligen Zeitgeist voraus war.

Dies gilt auch ansonsten. Zeitgenössische Beobachter verweisen beispielsweise darauf, daß er seit 1951 den Sport erst gesellschaftsfähig gemacht hat. Damals waren Sportler „Menschen in Trainingsanzügen, die etwas riechen und dumm sind“ (Daume). Als humanistisch geprägte Persönlichkeit verhalf er den Sportlern zur sozialen Anerkennung.

Willi Daume war seinem Zeitgeist auch voraus, als er sich seit Ende der sechziger Jahre gegen die Verlogenheit des sogenannten „Amateurparagraphen“ einsetzte. Es war ihm unverständlich, daß Sportler zur Unehrlichkeit erzogen werden sollten – sei es als westliche Sportler, die teilweise Zahlungen „unter dem Tisch“ erhielten, oder als Staatsamateure östlicher Prägung. Mit der von Willi Daume initiierten Öffnung der Spiele werden häufig auch negative Gefühle verbunden, die sich in Worten wie Kommerzialisierung, finanzielle Auswüchse und Abhängigkeiten zusammenfassen lassen. Die Gegner der Öffnung mögen jedoch bedenken, daß alle anderen Alternativen unehrlich und verlogen sind. Wer gegen eine gesellschaftliche Doppelmoral ist, nach der Künstler und Wissenschaftler ihre Leistungen vergütet erhalten, aber andererseits genau die gleiche Vergütung für Sportler als verwerflich angesehen wird, wird Willi Daume folgen.

Der Abschied von seinem letzten wichtigen Sportamt als NOK- Präsident ist Willi Daume nicht leicht gefallen. Seine gesamtgesellschaftliche Denkweise wurde deutlich, als er sich auch danach eine führende Rolle bei der Gestaltung des „Runden Tischs des Sports“ vorbehielt. Willi Daume hat es fertiggebracht, die Spitzen des Sports, der Wirtschaft und der Politik zusammenzubringen – und dies in einer Zeit, die vielleicht die schwierigste ist, die der Sport je erlebt hat. Nach seinem Vermächtnis geht es bei dem Runden Tisch in erster Linie darum, die gesellschaftliche Anerkennung des Sports zu sichern und den Sport auf ein insgesamt höheres Niveau in der gesellschaftlichen Auseinandersetzung zu befördern. Der Sport soll vom organisatorischen Effizienzdenken der anderen Bereiche lernen, womit ein Beispiel für solidarisches Handeln über den Sport hinaus gesetzt würde.

Wenn es nach Willi Daume ginge, bliebe es nicht bei einer abstrakten Diskussion. Der Runde Tisch sollte die heutigen Entscheidungsträger und via dessen Signalwirkung viele weitere Menschen zu echten Sportfans machen. Solche, die sich von ganzem Herzen über die Erfolge der Sportler freuen und die auch in schlechten Zeiten mit ihnen fühlen. Auf daß, so der explizite Wunsch Willi Daumes, nie wieder eine ostdeutsche Schwimmerin in seiner Wahlheimat München gellend ausgepfiffen wird. Auf daß Sportlern auch gerade dann geholfen wird, wenn sie nicht – oder nicht mehr – erfolgreich im Sport sind. Willi Daume hat vorgemacht, daß das geht. Er ist trotz seines Einflusses auf internationaler und nationaler Ebene kein Funktionär im Wolkenkuckucksheim gewesen.

Wolfgang Maennig ist Präsident des Deutschen Ruder-Verbandes und Achter-Olympiasieger von Seoul 1988