„... lieber hab' ich Schuldgefühle“

■ In Berlin wird das Projekt „Künstler forschen nach Auschwitz“ vorgestellt

Nein, es schwinden einem nicht die Sinne. Man hält der Vorstellung stand, daß auf diesem steinernen Tisch mit der Rinne in der Mitte, den Reinhard Matz 1988 im Konzentrationslager Mauthausen fotografierte, „Ermordeten unter anderem Goldzähne und tätowierte Hautpartien entfernt wurden“. Zwischen 1987 und 1992 folgte der Fotograf den Spuren des nationalsozialistischen Terrors, und er fand: Stilleben, Graffitis, Museen, Denkmäler, kleine Modelle von Lagern, Besucherbücher und Lehrtafeln. Seine Bildlegenden kennzeichnen die Bearbeitung der Geschichte: Mit dem Galgenstrang in der Vitrine beginnt die „Beschwörung des Authentischen“, ein Brot aus Stein symbolisiert zugleich die magere Tagesration. Die materiellen Relikte, die zuerst als Dokumente galten, werden zu Zeichen.

Doch je perfekter die Instrumente der Vernichtung inventarisiert erscheinen, um so mehr absorbieren sie die Vorstellungskraft. Dieser Paradoxie, daß sich in den Repräsentationsformen von Vergangenheit Schicht um Schicht das Bewußtsein der Gegenwart eingeschrieben hat, stellt sich Matz in seinen 180 Fotografien, die 1993 unter dem Titel „Die unsichtbaren Lager. Das Verschwinden der Vergangenheit im Gedenken“ veröffentlicht wurden. Matz sucht nicht nach Metaphern für den Holocaust, sondern protokolliert den Prozeß der Symbolisierung und Mythisierung des Terrors.

Das unterscheidet ihn von Beate Passow, Pam Skelton und Gunter Demnig. In der Neuen Gesellschaft für Bildende Kunst (NGBK) stellen sie ihre Suche nach Formen der Vergegenwärtigung vor, die sich unter der Schwelle des Denkmalhaften ins Alltagsbewußtsein ritzen. Erneut wird das Instrumentarium der Vernichtung zum Bedeutungsträger. „Mengenleere“ nennt Beate Passow eine Zahlenwand aus Kopien tätowierter Häftlingsnummern. Sie sind Dokumente der gigantischen Verwaltungsmaschine, die den Massenmord ermöglichte; bis zur Unleserlichkeit in der Haut verwachsen scheinen die Nummern aber zugleich vom Über- und Weiterleben zu erzählen.

In der Kreuzberger Oranienstraße hat Gunter Demnig sein Projekt „Stolpersteine“ fortgesetzt, das er vor Jahren in Köln begann. In das Pflaster eingelassene Steine, die den Namen und das Datum der Deportation von jüdischen Bewohnern der Straße tragen, bringen verdrängte Geschichte zurück an ihren Ausgangspunkt. Seine Installation in der NGBK knüpft an die verkehrstechnische Logistik der Deportationen an: Als Märklin- Modell kreist eine Lokomotive auf einem hohen Gerüst.

Doch ebenso wie Pam Skeltons Videoarbeit über ein Massengrab in Polen erstarrt Demnigs Installation in einem seltsamen Zwiespalt zwischen sperriger Ästhetik und dem emotional aufgeladenen Inhalt. Beide verbieten sich zwar die dramatische Inszenierung, die den Schrecken zum Schauspiel macht. Beide versuchen von einer persönlichen Handschrift Abstand zu nehmen und Form allein als Werkzeug der Vermittlung zu begreifen; dennoch drängt sich dieses Werkzeug in den Vordergrund. Das Thema Auschwitz wird für sie zur Berufung. So entsteht der Verdacht, daß sie als Künstler mit diesem Gegenstand für sich die Sinnfrage der Kunst gelöst haben.

Mit der inneren Notwendigkeit, mit der man eine lange vor sich hergeschobene Sache angeht, erzählt dagegen der amerikanische Comiczeichner Art Spiegelman von Auschwitz. Er wagt sich in die Vergangenheit seiner Eltern, Überlebende des KZ Auschwitz- Birkenau. „...lieber hab' ich Schuldgefühle“, bekennt der Künstler – der Comiczeichner aus Opposition zu der Arbeitsmoral seines Vaters geworden ist –, als diesem bei einer Reparatur zu helfen. So setzt sich in der zwischen Queens/New York und Polen im Zweiten Weltkrieg pendelnden Geschichte ein Vater-Sohn-Konflikt mit allen Tücken der Identifikation und Distanzierung fort. In diesem Zwist schmerzt den Erzähler die Geschichte, in diesem Schmerz ist sie gegenwärtig. Katrin Bettina Müller

Passow, Skelton, Demnig in der NGBK, Oranienstr. 25, 10999 Berlin, bis 2. 6., tägl. 12 – 18.30 Uhr. Matz, Spiegelman im Haus am Kleistpark, Grunewaldstr. 6/7, 10823 Berlin, Di – So, 10 – 18 Uhr. Tagung mit den beteiligten Künstlern 30.5. – 1.6., Tel. 030/805 00 126