Verwandlung in Schönheit

■ Seriosität reifer Romantik: Tears For Fears mit neuen Pop-Urschreien

Mit dem Hut in den Blitzen, mit den Stiefeln im Schmerz – keine Band der Achtziger hat die Euphorie so kultiviert wie Tears For Fears und dabei gleichzeitig so konsequent über persönliches Leid nachgedacht, ohne dabei Jammertaschen mit Kitsch zu füllen. Roland Orzabal und Curt Smith fanden einen Königsweg zwischen David Bowie und den Beatles und gaben ein Jahrzehnt lang dem britischen Pop die Seriosität reifer Romantik: grüblerisch, emphatisch, bilderreich, versponnen und offensiv leidend.

Schon mit ihrer Namensgebung gingen sie weit über das „Ich weine, weil du weg bist, Baby“ gemeiner Popsongs hinaus: „Tränen statt Ängste“ ist das beinahe therapeutisch gemeinte Programm einer Band, die aus eigener Erfahrung um die wenig unterhaltende Qualität depressiven Leidens weiß, aber gut genug ist, die Verwandlung in verständliche Schönheit zu leisten. So wurde „Shout, shout, let it all out“ zu einem Pop-Urschrei, den sowohl Kreuzberger Autonome wie auch Teens in der dörflichen Melancholie des offenen Landes verstanden.

Die Verzweiflung an der Welt, die Orzabal und Smith aus dem Politischen ins Konsensuale zu heben versuchten, machte ein Unbehagen gesellschaftsfähig, das sich deswegen nicht in den puren Gram schmiß. Politik war in diesem Kosmos völlig in Ordnung, aber keine plakative Politik. Tears For Fears standen vielmehr für eine kritische Haltung zum zwischenmenschlichen Umgang, die als alternatives Politikverständnis für die Achtziger durchaus prägend war. „Du verhinderst am meisten Scheiße, wenn du dich wie ein Mensch benimmst“, könnte das Credo dieses Anspruchs auf Politik außerhalb der Politik sein. Dabei schämten sich Tears For Fears nicht ihrer sentimentalen Gefühle. Vielmehr verbaten sie es sich, daß diese als kindisch abgetan wurden und fanden somit Eingang in jedes unsichere Herz.

Des Rätsels Lösung, wie man ein erfolgreiches Spiel mit der eigenen Naivität und der romantischen Haltung des Weltverbessers betreibt, liegt beim Pop in der Melodie. Und dieses Werkzeug beherrschten Orzabal und Smith von Beginn an mit wahrer Größe. Alle ihre Platten waren Tortenschlachten an Hooklines. Und selbst wer nur ihre allergrößten Hits kennt wie „Shout“, „Everybody Wants To Rule The World“ oder „Sowing The Seeds Of Love“ wird neidlos zugeben müssen, daß hier einige der großartigsten Melodien der Popgeschichte versammelt sind.

Inzwischen ist Orzabal alleine Tears For Fears. Das menschliche Spannungsverhältnis zu Smith, das viele für den Motor der Band hielten, scheint keine hinreichende Begründung gewesen zu sein. Denn auch die neue Platte Raoul And The Kings Of Spain schöpft aus dem Vollen. Nicht nur der Titelsong ist eine ergreifende Hymne, auch der Rest dieses Konzeptalbums über Orzabals spanische Wurzeln ist Schwelgerei ohne Schwulst. Auch wenn Gott mitsingt. Till Briegleb

So, 26. Mai, 20 Uhr, Gr. Freiheit