Verklinkerte Vergangenheit

■ Mit Gröpelinger Urgestein auf Stadtteil-Rundfahrt / Im Kampf gegens schlechte Image

Die Gröpelinger staunten nicht schlecht, als gestern mittag ein Borgward-Bus, Baujahr 1953, durch den Ort fuhr auf der Suche nach der vergangenen Zeit. An Bord neben Pressevertretern und Abgesandten des veranstaltenden Kulturladens Gröpelingen auch Gröpelinger Urgestein. Adelheid Rodenberg, bis 1980 Grundschullehrerin, Johann Kropp, Schlachtermeister i.R., und Günter Friedrichs, „Rentner von Beruf“, sollten die kleine Stadtteil-Rundfahrt als Zeitzeugen aufwerten.

Anlaß war eine Buchvorstellung. „Gröpelingen 1860-1945 – ein photographischer Streifzug“ heißt der gut recherchierte Band, herausgegeben vom Kulturladen Gröpelingen und verlegt bei Temmen. Eine Fülle historischen Fotomaterials vermittelt einen aussagekräftigen Einblick in die „gute alte Zeit“.

Daß sich davon im Stadtbild nicht mehr allzu viel entdecken läßt, daran können auch die Alt-Gröpelinger nichts ändern. „Man kann sich nicht gegen die Entwicklung stemmen“, sagt Johann Kropp und bedauert doch, daß heutzutage „nicht mehr“ ist in Gröpelingen: „Tot“ sei es gar. Und außerdem stehe es mit dem Ruf des Stadtteils „nicht zum besten“. Beispiel Lindenhofstraße 53: Wo sich im damaligen Dorfzentrum der Bauernhof der Familie Mattfeldt befand, gähnt heute eine unwirtliche Brache. Der Hof brannte im vergangenen Jahr vollständig ab. Am Liegnitzer Platz ist die historische Bausubstanz, die den Krieg überlebt hat, systematisch verklinkert und unkenntlich gemacht. Beispiel Gröpelinger Fährweg/Use Akschn: Bis sie 1944 von einer Bombe getroffen wurde und in den 50er Jahren einem Parkplatz für die Werftarbeiter weichen sollte, erhob sich seit 1331 die Nikolai-Kapelle nebst Pastorenhaus. Nichts erinnert an der unwirtlichen, vielbefahrenen Kreuzung noch daran. Und der selbstbewußt „Burg Hohenzollern“ getaufte Tanzpalast in der Lindenhofstraße 13, wo sich nach Günter Friedrichs' Erinnerungen am Wochenende 1.000 Leute vergnügten, hieß später „Sielers Ballhaus“. Einer von mehreren Vergnügungspalästen, die Ferdinand Sieler in der Stadt besaß. Heute residiert hier „Minimal“, ein schnöder Discounter.

„Heute gibt es für Feierlichkeiten gar keine Räumlichkeiten mehr in Gröpelingen“, klagt Johann Kropp. Man müsse entweder zuhause feiern oder sich weiter weg umschauen. In Bremen? Nein, in Burg.

Und dann erinnert sich Johann Kropp noch, wie ihm ein Hamburger mal den Rücken gekehrt habe, nachdem er gehört hatte, daß er aus Gröpelingen sei. Und auch für viele Einheimische „hört Bremen am Brill auf“. Dabei war – wie dem Vorwort des neuen Temmen-Bandes zu entnehmen ist – Gröpelingen mal ein beliebtes Ausflugsziel und einst gar eines der „wohlhabenderen Dörfer der bremischen Landgebiete, weil es, auf einem Dünenrücken gelegen, Schutz vor Überschwemmungen bot“. Und in den Weserarmen und Tümpeln gab es Fisch im Überfluß – eine zusätzliche Nahrungs- und Einkommensquelle. Noch im 19. Jahrhundert, berichtet Pastor Ordemann, „haben sich viele Dienstboten ausdrücklich ausbedungen, in der Woche nicht häufiger als zwei bis dreimal Lachs essen zu müssen“. Doch mit der Aufhebung des „Anerbenrechts“ ging es zügig abwärts mit dem Dorfcharakter Gröpelingens. Höfe konnten von nun an durch den Staat enteignet werden; man brauchte Land. Mit der Weserkorrektur von 1883 begann die Industrialisierung in großem Stil. 1902 zog die AG Weser nach Gröpelingen um, zehn Jahre später arbeiteten hier schon 7.000 Leute. Das Unternehmen prosperierte, die Gegend blühte auf. Heute stehen nur noch das Verwaltungsgebäude und das ehemalige Arbeiteramt der Werft. In letzterem, dem „Lichthaus“, wird heute moderne Kunst präsentiert. Ein Lichtblick für Gröpelingen? Christiane Gartner, Öffentlichkeitsarbeiterin im Kulturladen Gröpelingen, ist nicht so glücklich damit: „Das ist kein Ort, wo sich die Bevölkerunng trifft.“

Alexander Musik

Kulturladen Gröpelingen (Hg.): „Gröpelingen 1860-1945“. Edition Temmen 1996. 28 Mark.