Das Motto ist: Lieber unfair Erster als fair Letzter

■ Betrug ist längst systemimmanent: In „Doping im Hochleistungssport“ klopfen die Soziologen Schimank und Bette das gesellschaftliche Sinngefüge des Sports ab

„Ich habe ja nicht gelebt, damit ich mich wohlfühle, sondern damit die Kugel weit fliegt.“ Das meinte ein Kugelstoßer, der in den Achtzigern zu Deutschlands Größten zählte. Wo krankhafter Ehrgeiz regiert, ist Doping nicht weit. So einleuchtend ist das Thema für die meisten.

Die Soziologen Karl-Heinz Bette und Ulrich Schimank behaupten, daß Doping sich gar nicht so leicht verstehen läßt. Es hat mehr Verästelungen, als es Schnellschußdiagnosen von Moralisten und Freigabetheoretikern wahrhaben wollen. Die Systemtheoretiker Bette und Schimank klopfen das gesamte gesellschaftliche Umfeld des „Sinnsystems“ Sport ab und sehen dabei mehr als raffgierige Tennispapas und brandenburgische Springsteine. Trocken gesagt: Jedes Sinnsystem hat seinen eigenen Code. Während in der Wirtschaft Geld zirkuliert und in der Kunst ästhetische Urteile, orientiert sich der Sport gnadenlos am Siegescode. Siegen oder Verlieren, tertium non datur. Genau das macht Sport für andere Sinnsysteme so attraktiv. „Doping ist nicht von außen als unerklärlicher plötzlicher Fluch über den modernen Hochleistungssport gekommen, sondern in dieser Strukturdynamik angelegt.“

Wer Niklas Luhmanns Systemtheorie und ihrem Blickwinkel folgt, beobachtet das aus großer Entfernung: Er sieht die Sportverbände, ihren Wankelmut zwischen Moralismus und Vertuschen. Er sieht ihre Heuchelei: Normen werden hochgehalten, die ohne Doping oft unerreichbar sind, in Sonntagsreden wird zum Dopingkampf aufgerufen. Er sieht die Strategien der Presse, das Thema vordergründig zu personalisieren. Wie leicht läßt es sich an verrückten Johnsons und Krabbes festmachen! Und ferner die Eigendynamik von Dopinglisten mit ihrem heimlichen Lehrplan: „Nutze diejenigen Mittel und Verfahren, die nicht auf der Dopingliste stehen!“

Eindrucksvoll ist die Analyse der „biographischen Falle“: Jugendliche beißen – aus rationalem Kalkül heraus – schon früh die Zähne zusammen, wenn der finanzielle Output stimmen soll. Ihr Blick verengt sich dabei gehörig. Was die Studie auch für sportbegeisterte Soziologen wertvoll macht: Bislang war Doping ein Thema für „partikulare Blickwinkel“ in der Soziologie. Abweichendes Verhalten, Modernitätskritik, Biographie oder Verbandstheorie – alles sind kleine Bausteine in einem Puzzle, das Bette und Schimank souverän zusammensetzen, manchmal jedoch auf Kosten der Verständlichkeit.

Das Kapitel über Lösungsansätze hat wenig Euphorisches zu sagen. Theoretisch könnte man ja eine andere Wettkampfkultur schaffen. Statt Rekordsucht ginge es dann nur um den Sieg beim Kampf von Mann gegen Mann und Frau gegen Frau. Und die arbeitslosen Rekordstatistiker und Stoppuhrenhersteller? Hoffnungsvoller ist die Strategie der „Selbstbeschränkung“. Das deutsche Zehnkampfteam hat es Mitte der Achtziger vorgemacht: Dem DLV mit Wettkampfboykott drohen, falls der keine regelmäßigen Dopingkontrollen zuläßt und bezahlt.

„Lieber unfair Erster werden als fair Letzter, sagen heute schon jugendliche Fußballer.“ Bette/ Schimank ergänzen die Analyse menschlicher Schwäche durch den Verweis auf strukturelle Zwänge, die der einzelne – ob gutwillig oder korrupt – kaum bremsen kann. Komplexe Probleme erfordern, sagt die Analyse, komplexe Lösungsansätze. Gerd Michalek

Karl-Heinrich Schimank/Ulrich Bette: „Doping im Hochleistungssport“. edition suhrkamp, 409 Seiten, 27,80 DM