Tag der halboffenen Tür

■ Wenn sich das Berliner Parlament seinem Volk zeigt, ist ein CDU-naher Privatsender etwas exklusiver dabei. Dafür fehlt jetzt die politische Opposition

Parlament ist langweilig. Da muß man sich was ausdenken, wenn das Volk bei seinen Vertretern auf Besuch kommen soll. Da muß man den Bauausschuß mit der Big Band der Stadtreinigung anreichern (Motto: „Immer auf der sauberen Seite“) und ein Gespräch der Fraktionschefs mit dem „Leierkasten 1“. Denn es soll lustig werden und „zwanglos“, wie Herwig Haase schreibt. Haase ist Präsident des Berliner Abgeordnetenhauses und lädt das Volk für Anfang Juni zum Tag der offenen Tür.

Wie es aussieht, bleibt die Tür halb zu, und es kommt nur ein Teil. Denn für die Veranstaltung, deren Lageplan nicht viel mehr als die Programmflächen „Bier“, „Getränke“ und „Bürgerstammtisch“ ausweist, trommelt ein exklusives Dreigestirn aus der Medienszene der Hauptstadtprovinz. Neben der für jede Anerkennung dankbaren Berliner Zeitung werben für das Ereignis das durch Polizeiberichterstattung hinreichend qualifizierte „puls-TV“ (ehemals IA) und der Privatsender „Hundert,6“, der sich selbst „Bildzeitung der Lüfte“ nennt. Alle drei sind Sponsoren der Veranstaltung und dürfen im Gegenzug für die Vorabwerbung und ein paar Tombolapreise das Programm mitgestalten.

Geld ist dafür nach Angaben des Präsidiumssprechers nicht geflossen, doch Genaues weiß man nicht: Weil es nur mündliche Vereinbarungen mit den Sponsoren gibt, konnte der Parlamentschef den Fraktionsvertretern im Präsidium bisher nichts Schriftliches zeigen.

Nun ist wahrscheinlich, daß sich im Juni zwar die zahlreichen Sponsoren zeigen dürfen – neben den dreien illustre Namen aus Bau- und Bankenszene – ein wichtiger Teil des Parlaments aber fehlt: die Opposition. Die Fraktionen von Bündnis 90/Die Grünen und PDS haben ihren Boykott erklärt. Unter anderem wegen der Bevorzugung von Medienhäusern. Auch die SPD, Juniorpartner der regierenden CDU, ist inzwischen auf Distanz gegangen. „Prekäre Situation“, schrieb sie in eine Presseerklärung, und etwas vom „Ansehen des Parlaments“.

Besonders peinlich: Die Landesrundfunkanstalt, der öffentlich- rechtliche SFB wurde zunächst übergangen. Erst nach Protesten aus der bündnisgrünen Fraktion konnte der Sender auch mit ein paar Programmteilen dabeisein – auf einer Nebenbühne. Dem SFB, der im letzten Jahr groß mitmischte, hat man die Sache mit den Hörfunkexklusivverträgen erst eröffnet, als solch einer mit „Hundert,6“ schon perfekt war – so SFB-Pressesprecher Henric Lewkowitz. Präsidentensprecher Jörg- Dietrich Nackmayr widerspricht: „Wir haben alle gefragt, und es hätten alle dabeisein könnnen.“

Die Privatfunker von „Hundert,6“, die unter anderem das Heeresmusikkorps präsentieren, mischen traditionell mit, wo die Politik dirigiert. Warum „Hundert,6“ gefragt wurde – „Das können Sie sich doch denken“, sagt SPD-Sprecher Uwe Wilke. Der Sender gehört nicht nur zu den Sponsoren des Parlamentstamtams, sondern auch zu denen der Regierungspartei: Mindestens 20.700 Mark gab der Sender 1994 an die Berliner CDU (neuere Zahlen gibt es nicht). Schon seit seiner Existenz erfreut sich der 1986 gegründete „Froschfunk“ mit der Kröte als Talisman der christlichen Zuneigung, welcher der SFB verlustig ging. Bei den Unionsfreunden konnte sich „Hundert,6“-Boß Georg Gafron noch immer sicher sein, daß sie sich als Privatfunklobbyisten für seinen Sender in die Bresche werfen. Selbst wenn sie, wie CDU-Fraktionschef Klaus- Rüdiger Landowsky, beim SFB im Rundfunkrat sitzen.

Da ist klar, daß Gafron öffentlich schmollt, wenn es nicht nach seiner Mütze geht. Als ihm die unabhängige Medienanstalt Berlin- Brandenburg in der vergangenen Woche eine gewünschte Frequenz verwehrte, kündigte er an, 25 Leute vor die Tür zu setzen und einen seiner Sender, das schutzmachtselige Mäzenatenprojekt „Radio Charlie“, möglicherweise auch gleich zuzumachen. In so einer Stadt, so Gafrons Tenor, schaffe er keine Arbeitsplätze mehr.

Auch von der anderen Seite ist enge Tuchfühlung mit bestimmten Medien an der Tagesordnung. Im April letzten Jahres zum Beispiel nahm Bürgermeister Eberhard Diepgen einige Medienvertreter auf Senatskosten mit, als er im Vorwahlkampf Pandabärinnen aus China einflog – 210.000 Mark schenkte der Regierende in der letzten Legislaturperiode ausgwählten Journalisten für Flugtickets. Das Gericht rügte (auf taz- Antrag) diese Praxis: Der Staat dürfe nicht ausgewählte Medien subventionieren, genausowenig wie er einzelne von der Berichterstattung ausschließen darf.

Das Abgeordnetenhaus war bislang nicht durch gezielte Bevorzugung aufgefallen. Und beim Parlamentspräsidenten, dessen Verwaltung die Sache allein verbocken durfte, ahnt man wohl, daß ein Tag der offenen Tür ohne Opposition nicht so gut aussieht. Nun macht Präsident Haase den Präsidiumsmitgliedern Hoffnung, daß sie die Sponsorenvereinbarung doch in irgendeiner Weise zu Gesicht bekommen werden. Und – Nebeneffekt der Aufregung – aus der Chefetage von „Hundert,6“ hieß es, man wolle alle zu Wort kommen lassen – auch die Opposition. Das war bislang eher selten vorgekommen. Lutz Meier