Flammender Kurzschluß an der Feuerschale

■ Wie Berlin immer wieder versucht, sich um die Vergangenheit herumzumogeln

Berlin (taz) – Was den Umgang mit den Nazi-Spielen von 1936 angeht, hat das offizielle Berlin einen notorischen Hang zu Verdrängung und leichtsinniger, unreflektierter „Wiederaneignung“. So wird etwa die olympische Glocke, die heute nicht mehr im Glockenturm schlägt, sondern vor dem Stadion aufgebaut ist, als Kranzabwurfstelle genutzt. Zur Erinnerung an die „Olympiakämpfer der Welt, die durch Krieg und Gewalt ihr Leben verloren“.

Zu diesem Zweck wurde das auf der Glocke befindliche Hakenkreuz teilweise mit Bronze ausgegossen: ein zurechtgemogeltes Gedenksymbol. Der Besucher des Olympiageländes erfährt freilich nirgends, daß die Glocke 1936 nicht nur für die Jugend der Welt, sondern auch für die gefallenen Helden des Vaterlandes (1871; 1914–1918) bimmelte.

Rudolf Heß, der Stellvertreter Hitlers, hatte diese Glocke damals als „eine Glocke des Friedens“ bezeichnet – während deutsche Soldaten der „Legion Condor“ bereits in Spanien mordeten. Die Reichssportfeldstraße, die zum Olympiagelände führt, heißt noch heute so. Sie sollte eigentlich schon seit 1994 den Namen der Flatow-Cousins tragen, zweier jüdischer Sportler, die von den Nazis ermordet wurden. Zunächst versuchte eine Koalition von CDU und „Republikanern“im Bezirksparlament die Umbenennung zu verhindern. Sie blieb zwar erfolglos, dann aber legten 350 Anwohner der Straße Widerspruch gegen die Aufstellung neuer Schilder ein. Nun liegt die Sache beim Oberverwaltungsgericht.

Bis heute fehlt auf dem Gelände ein Hinweis darauf, daß hier 1945 2.000 Jugendliche im „Endkampf“ um das Stadion verheizt surden. In den Tod geschickt hatte sie mit salbungsvollen Worten Carl Diem, der Organisationschef der Nazi- Spiele. Eine Gedenkplakette für Diem hingegen prangte lange Jahre am Stadion – bis sie 1993 von Gegnern der Bewerbung Berlins für Olympia 2000 demontiert und eingeschmolzen wurde. Überhaupt reihte die gescheiterte Olympiabewerbung eine Peinlichkeit an die nächste. So ließ der Senat 1991 ein Dinner für die IOC- Oberen vor dem Pergamon-Altar ausrichten: Just so, wie das die Nazis schon 1936 gemacht hatten.

Und Bewerbungschef Axel Nawrocki (CDU) schwärmte schon mal von „fantastischen Negerchören“, die die zweiten Berliner Spiele eröffnen sollten. Ein wissenschaftlicher Kongreß zum Thema 1936 hingegen wurde vom damaligen Regierenden Bürgermeister Walter Momper (SPD) verhindert.

Für den Senat stand auch von vorneherein fest, daß das alte, denkmalgeschützte Olympiagelände im Jahre 2000 wieder als zentraler Veranstaltungsort genutzt werden sollte. Als man merkte, daß die vielen Herrenmenschen- Skulpturen von Breker und anderen dabei stören könnten, ließ man den SPD-Kulturpolitiker Hilmar Hoffmann Konzepte zur Entschärfung entwickeln. Dabei kam ziemlicher Krampf heraus: Hoffmann schlug vor, die Nazi-Skulpturen in einem „transitorischen Museum“ zusammen der Größe nach aufzustellen – oder aber sie mit symbolischen Vitrinen zu umgeben.

Auch in diesem Jahr haben der Senat und der Landessportbund Berlin schon wieder für einen symbolischen Fehltritt gesorgt. Als das olympische Feuer auf dem Weg nach Atlanta (USA) im April in Berlin Station machte, wurde die Feuerschale im alten Stadion wieder aktiviert. Entzündet wurde die Flamme ausgerechnet von Fritz Schilgen (89), der dies schon 1936 besorgt hatte. Er war von Leni Riefenstahl wegen seines arischen Aussehens als Schlußmann des Fackellaufs ausgesucht worden.

Das Feuer brannte zwei Wochen, die Gasrechnung bezahlten die Hörer eines CDU-nahen Kommerzradios. Kleiner Trost: Fünf Anti-Olympioniken sorgten am 22. April mit Feuerlöschern für eine kurze Unterbrechung. Dabei zeigten sie ein Transparent mit der Aufschrift „Kein Feuer und keine Ehre für Nazi-Spiele“. kotte