„Knaben mit Titten“ und der Fitneßwahn der 90er im Blickfeld der Feministinnen

Was Sport von Sex und Staub-saugen unterscheidet, ist, daß er weder Sinn noch Spaß macht. Dennoch wird unermüdlich über Leibesübungen geredet. Das hat verschiedene Gründe. Stutzen läßt, daß nun auch Feministinnen Sport zum Thema machen.

„Sport und Kult“ heißt der neue Rundbrief 47/Frauen in der Literaturwissenschaft, zusammengestellt von Ulrike Vedder und Claudia Thomsen. Germanistik, Frauen und Sport? Daß Sport ein Beschäftigungsprogramm im Sinne von Kapital und Patriarchat ist, wissen wir schon lange. Die Diskussion, ob Männer das Recht haben, viehischen Ritualen unter dem Deckmantel Fußball nachzugehen, ist ermüdend. Wozu also Sport? Der weibliche Blick kreist über dem Elend und bleibt an den bekannten Streitpunkten hängen: Die zwölf Beiträge drehen sich um Leni Riefenstahls NS-Propaganda-Filme, Ästhetik und Erotik des Tanzes und die Inszenierung und Unterwerfung der Körper.

Ihre Fortsetzung findet die Kontrolle über den weiblichen Körper in der Reaktion auf das Frauenboxen, wie Claudia Thomsen in „Frauen, Männer, Handschuhe“ umreißt. Frauenboxen wurde erst vor einem Jahr vom Deutschen Amateur-Boxverband zugelassen. Offiziell galt es bis dahin, die Frau vor den angeblichen Folgen wie Brustkrebs oder Gesichtsdemolage zu bewahren. Der Verdacht liegt jedoch nahe, daß es eher darum ging, die Sportart, die nach dem Kriegsspiel für die Reproduktion von Männlichkeitsmythen am wichtigsten ist, vor der Frau zu retten.

Überhaupt dringen die meisten Frauen nicht deshalb in alle möglichen Sportarten vor, um die Männer dort aus ihrer sozialen Idiotie zu befreien. Vielmehr wollen sie fit bleiben und sich einen hübschen Körper modellieren, um endlich wie ein „Knabe mit Titten“ auszusehen. Gabriele Splett aus Bochum und die Erfurterin Anke Abraham beschreiben, wie sich das Idealbild der Frau in den 80ern und 90ern im Rahmen des Fitneß-Wahns vermännlicht hat. Der Karriere-Körper der supermodernen Frau, die inzwischen nicht nur Kind und Job, sondern auch ein immenses Sportpensum bewältigen kann, darf endlich auch virile Kraft symbolisieren.

Frau sollte meinen, daß der „Weiblichkeitswahn“ (Betty Friedan, 1963) endlich zugunsten eines Androgynitätswahns abgelöst worden ist, schließlich steht die Post-Geschlechtlichkeit auf der Tagesordnung. Nur wie den Klischees entfliehen? Thomsen verweist auf Madonna, die häufig ihre Identitäten wechselt und von der wir lernen können, „uns von weiblichen Stereotypen zu verabschieden, und nicht, uns an sie zu gewöhnen“. U. Winkelmann

Der Rundbrief 47, „Sport und Kult“ (April 1996, 98 Seiten), kann über die Arbeitsstelle Frauen in der Literaturwissenschaft der Universität Hamburg bezogen werden.