Der Eismann kommt natürlich nicht

Nach einem klaren Punktsieg über John Scully: IBF-Halbschwergewichts-Weltmeister Henry Maske wird wohl im Herbst noch gegen Virgil Hill boxen – und dann ungeschlagen aufhören  ■ Aus Leipzig Peter Unfried

Manfred Wolke hat eindeutig einen Charakterfehler. Er kann nicht lügen. Selbst wenn er sich bemüht, kommt er am Ende bei der Wahrheit raus. Wenn einer also inmitten der üblichen Jubel-Wall of Sound nach der zehnten Titelverteidigung des IBF-Halbschwergewichtsweltmeisters Henry Maske notgedrungen differenzierte, dann sein Trainer.

Hatte der in irgendeiner Phase des WM-Kampfes Sorgen um seinen Boxer? „Nö“, sagte Wolke. Schon nach zwei Runden war Samstag nacht zu erkennen gewesen, daß John Scully (28) aus Hartford, Connecticut trotz eifrigen Videostudiums und gelegentlichen Auslagewechsels keine Ahnung hatte, wie er Maske schlagen sollte. Stimmt nicht, sagte Scully, Kampfname: „Iceman“, später und tupfte sein geschwollenes rechtes Auge: „Ich wußte, daß ich nicht nach Punkten gewinnen kann, und ging daher auf den großen Schlag aus.“ Maske (1,92 m) aber ist von Boxern, die zehn Zentimeter kleiner sind, kaum zu treffen. „Entweder verfängst du dich in seiner Deckung – oder er ist gar nicht mehr da“, sagte George Cruz, der Coach von Scully (1,83 m).

Und: „Henny, das läuft“, sprach Wolke in der Pause zur dritten Runde zu seinem Mann: „Gar nicht hinterhergehen, gar nicht hart treffen!“ Da war nichts mit dramatischer Kampfstruktur, keine Klimax. Nach minimaler Exposition war klar: Dieser Eismann würde nicht kommen. Scully, der zuvor (in 41 Kämpfen) fünfmal verloren hatte, aber nie k.o. gegangen war, vermied ein vorzeitiges Ende, indem er den angedachten großen Schlag „nicht kompromißlos“ (Wolke) suchte. Und Maske? Hätte er kurzen Prozeß machen sollen? Mit dem Schwächeren? Und den RTL-Werbeinseln (180.000 Mark pro Minute)? Kurz hoffte das noch nicht konditionierte Leipziger Publikum, Maske würde. Aber, sagt Wolke: „Henny... macht das nicht.“

Henry Maske hat – wie als Charakterdarsteller – auch als Boxer mit seinen Möglichkeiten Optimales erreicht. Er verteidigt – und punktet. Am Ende hatten ihn die Punktrichter klar wie selten vorn (120:100, 120:108, 119:109) und hatte die RTL-Statistik 316 Treffer für ihn gezählt (Scully: 105). Kein einziger war darunter, den die Branche „Wirkungstreffer“ oder etwas populärer auch „voll auf die Zwölf“ nennt. Er kann diese Schläge nicht – also boxt er so, daß er sie nicht braucht. Und: Maske hat sich nie dazu verleiten lassen (Ausnahme: Rocchigiani I) gegen einen zu boxen, der ihn zwingen könnte, während des Kampfes die Strategie wechseln zu müssen.

Zwei Sätze, eine Wahrheit: „Der andere Bursche hat sich immer bemüht“, sagte Cedric Kushner, „aber Henry war einfach zu gut für ihn.“ Ist so ein Kampf sein Geld wert? Huh, damit braucht man dem einflußreichen Geschäftspartner von Maskes Manager Wilfried Sauerland nicht zu kommen: „Ich mußte ja keinen Eintritt bezahlen“, sagt der. Es ist auch nicht die Frage. Es macht keinen Sinn, einem Unternehmen vorzuwerfen, daß es Geschäfte macht.

Mag Scully (IBF-Weltranglistenposition 12) bloß ein Preisboxer „der gehobenen Mittelklasse“ gewesen sein, wie Werner Schneyder sagte. Die Halle war nicht ausverkauft, aber mit über 13.000 Leuten gefüllt, der relativ neue Markt im Osten ist angefixt. Und die Quote, die Schneyders und Maskes Arbeitgeber RTL damit einfuhr, war: 12,41 Millionen! Das sind keine 17,59 wie bei Rocchigiani II, ist aber ein quantitatives Niveau, auf dem sich verdienen läßt.

Henry Maske hatte drei gerötete Stellen im Gesicht, als er am frühen Pfingstsonntag wieder Anzug trug. Der Mann wirkte fröhlich wie selten. Was wird? „Ich habe einen ganz persönlichen Fahrplan“, sagte er. „Bisher kann ich ihn noch erfüllen.“ Enthalten in diesem Fahrplan ist Virgil Hill (32), der WBA-Weltmeister. Der Renommiergegner soll im „Vereinigungskampf“ der Weltmeister den großen Abgang ermöglichen. Cedric Kushner hat seine schwere Hand auf Hill und Sauerland eine „schriftliche Garantie“, daß der Kampf in diesem Jahr kommt.

Zwar hat der holländische Europameister Eddy Smulders auch ein Papier. Doch ist Papier geduldig. „Es ist die Frage“, sagt Sauerlands erfahrener Matchmaker Jean-Marcel Nartz, „ob Smulders– Hill überhaupt stattfindet.“ Wo Geld ist, ist auch ein Weg. Und je früher Maske gegen Hill boxt, desto besser. In ein paar Tagen will Sauerland sagen können, wann wo in Deutschland geboxt wird. Im September könnte man noch open air veranstalten, passen mehr Leute rein. Und: Da Maske zwar einerseits Ende des Jahres aufhören will, andererseits im Rhythmus von drei, vier Monaten zu boxen pflegt, bliebe eigentlich noch Zeit für...

Ein weiteres Geschäft. Viele könnten es brauchen. Maske (32) braucht es nicht. Immer größer, sagt er, werde „die Gefahr, daß jemand kommt und da einsticht, wo ich meine Schwächen habe.“ Das wird heißen: Maske, Inhaber eines „Geheimplanes“, hat alles kalkuliert. Das Ergebnis: Er ist sich sicher, daß er den Techniker Hill besiegen wird. Der Schläger Dariusz Michalczewski, WBO-Weltmeister und Klient von Sauerlands deutschem Konkurrenten Kohl, ist ihm zu unberechenbar.

„Geheimplan“, hat Manfred Wolke gesagt und den Kopf geschüttelt, „das ist doch alles Blödsinn.“ Als Maske ihm in der Stunde des erneuten Sieges die übliche Umarmung aufgedrängt hatte, koste er seinen Mann mit der Rechten kurz am Rücken. Die Linke hing weiter schlaff nach unten.