Auf der Suche nach der neuen Politik

■ Rund 2.000 BesucherInnen kamen zur Volksuni 96 in die Berliner Humboldt-Universität. Sie diskutierten über Feminismus, Arbeit und Frieden

Berlin (taz) – Was haben Girlies mit Gentechnologie zu tun? Was Marxisten mit Mädchenschulen? Das fragten sich am vergangenen Wochenende rund 2.000 BerlinerInnen. Und pilgerten in die Humboldt-Universität. In staubschwangeren Sälen und ausgesessenen Holzbänken, unter bunten Streikplakaten gegen blindwütige Sparpolitik, tagte zum 17. Mal die Volksuni. Eine inzwischen schon traditionelle Ideenschmiede für linke DenksportlerInnen.

120 Veranstaltungen standen auf dem Programm, ins Rennen gingen Feministinnen und Öko- SpezialistInnen, GewerkschafterInnen und Politpromis. „Politik neu erfinden“ hieß des ehrgeizige Motto. Über ein „Bündnis für Arbeit, das seinen Namen verdient“, „Widerstandsformen des Alltags“ und die „Erneuerung des Geschlechtervertrags“ wurde diskutiert. Und über das „Verschwinden von Politik“ unter ökonomischen Sachzwängen.

Politik neu erfinden? Und das trotz Rekordtief an der linken Ideenbörse? Was es heißt, sich der gefrusteten Basis zu stellen, erfuhren die VertreterInnen der Gewerkschaften am eigenen Leib. Etwa 20 Neugierige, unter ihnen etliche graue Häupter, wollten sich schlau machen über „alternative Bündnisse für Arbeit“. Wie könnte es aussehen? Solidarität der Arbeitenden mit den Erwerbslosen, mit den SozialhilfeempfängerInnen und AußenseiterInnen der täglich enger werdenden Beschäftigungsmärkte muß her – aber wie? Statt nach konkreten Anknüpfungspunkten zu fahnden, gingen die BesucherInnen der Veranstaltung bald dazu über, das gescheiterte „Bündnis für Arbeit“ der IG Metall zu geißeln. Eine „mittelfristige Katastrophe“, so eine Streiterin von der ÖTV-Basis, sei die Tatsache, daß „niemand mehr irgendeinen Einwand gegen Sozialabbau“ habe. Und was meinen die, die eigentlich wissen müßten, wie Opposition gemacht wird? Grünen- Fundi Ludger Volmer und Karsten Voigt, außenpolitischer Sprecher der SPD, sprechen „für eine andere deutsche Außenpolitik“. Der Aufmarsch der Nato in Bosnien „macht Entwicklung alternativer Systeme unmöglich“, meint Volmer. Wie eine alternative Friedenssicherung allerdings aussehen könnte, blieb im Nebel wortreicher Selbstdarstellung verborgen: Waffenembargo, Wirtschaftssanktionen, Diplomatie? Da richtet sich der Blick wohl eher auf die Internationale der Menschenrechtsorganisationen, die sich etwa in Bosnien für Aussöhnung von Ethnien und Religionsgruppen einsetzt und praktische Hilfe an die Stelle fruchtloser Strategiediskussionen setzt. Von der neu erfundenen Politik ist bei den Promis im Seminarraum jedenfalls nichts zu finden.

Dichtes Gedränge herrscht im Foyer. Gekommen sind nicht nur die alten Hasen der Gründergeneration, sondern Scharen von jungen Leuten, SchülerInnen, StudentInnen. Auffallend viele Frauen sind dabei.

„Queer theory“ – quer denken“ heißt die Veranstaltung, zu der über hundert BesucherInnen angereist sind. Queer, das heißt homosexuell, gefälscht, fragwürdig. Die Theorie der US-amerikanischen Lesben- und Schwulenbewegung beschreibt, so die Politologin Corinna Genschel, „heterosexistische Strukturen“ und „Unterdrückung durch Heteronormalität“. Was nach Rückzug in selbstmitleidige Ausgrenzungstheorien klingt, versteht sie als Chance selbstbewußter homosexueller Identität. Mögliche Auswege aus festgefahrenen Rollenspielen: die Travestie.

Minderheiten und political correctness untersucht die Soziallinguistin Karsta Frank. Ihr geht es um die Diffamierung von Feministinnen durch Männer der intellektuellen Linken und der neuen Rechten. Da wird etwa sexuelle Belästigung am Arbeitsplatz bagatellisiert, zur schützenswerten „Liebe am Schreibtisch“ umgedeutet. Und Feminismus wird diffamiert als Versuch, die Geschlechter zu trennen, als sexuelle Apartheitspolitik. Political correctness, eine Errungenschaft auch der Feministinnen, wird mit rassistischen Strukturen gleichgesetzt und zur Waffe gegen die Frauen.

Wohl wahr, auch hier: Wo ist die neue Politik, wo die Strategie, mit der etwa mobbende Kollegen der Lächerlichkeit preisgegeben werden können? Patentrezepte werden nicht geliefert, selber denken ist gefragt. Constanze von Bullion