Von Heimatrecht und Volkstum

Die Sudentendeutschen erheben auf ihrem Pfingsttreffen alte Forderungen gegenüber Tschechien und feiern Ministerpräsident Stoiber. Die Witikonen wollen „Ostgebiete“ zurückkaufen  ■ Aus Nürnberg Bernd Siegler

Ja, Kinder, wo leben wir denn?“ Franz Neubauer, Sprecher der Sudetendeutschen Landsmannschaft (SL), demonstriert die „seit Jahrzehnten zur Versöhnung ausgestreckten Hände unserer Volksgruppe“. Jovial fügt er hinzu, daß man „mit ein bißchen guten Willen immer Lösungen finden“ könne. Wem er diesen guten Willen abspricht, verhehlt der SL-Chef nicht: der tschechischen Seite.

Die, in Gestalt der Journalisten Jiri Halousek vom tschechischen Rundfunk und Jan Kovarik von der Tageszeitung Pravo, geben bei der Pressekonferenz zur Eröffnung des 47. Sudetendeutschen Tages im Nürnberger Messezentrum einfach keine Ruhe. In ihrem Land stehen Wahlen vor der Tür und von der in langen Geheimgesprächen ausgehandelten deutsch- tschechischen Erklärung zur Versöhnung ist noch nichts durchgesickert. Frech fragen sie also, ob denn die Landsmannschaft Forderungen für alle Sudetendeutschen stellen könne, wo doch nur acht Prozent in ihr organisiert sind. „Nur jeder Zehnte ist zudem zur Rückkehr bereit“, zitiert Halousek eine aktuelle Umfrage und wird sogleich von Neubauer unterbrochen: „Das ist doch großartig, das sind einige Hunderttausend. Wer auf die biologische Lösung setzt, wird sich verrechnen. Wir haben einen langen Atem.“

Neubauer und seine Landsmannschaft pochen auf das „Heimatrecht“. Darunter verstehen sie eine „Rückkehr in Sicherheit und Würde“. Die Zurückgekehrten sollen dann den Inländerstatus in Tschechien und damit Wahlrecht besitzen, aber dort „als Deutsche leben“ können. „Ist nicht ihre Partei schon immer gegen eine Doppelstaatsangehörigkeit gewesen“, fragt Kovarik den ehemaligen bayerischen Sozialminister und CSU-Funktionär Neubauer. „Hier geht es doch um den Sonderfall der Vertreibung und nicht um Einwanderung und Asylanten“, kontert der und fordert eine autonome Selbstverwaltung für die dann Zurückgekehrten. Halousek hakt nach: „Wann gestehen Sie der dritten Generation der Türken in Kreuzberg eine autonome Selbstverwaltung zu?“

Dann ist die Zeit für derlei Fragen um. Die Verleihung der sudetendeutschen Kulturpreise, die Volkstumsabende, der Staatsempfang und die Hauptkundgebung mit dem bayerischen Ministerpräsidenten Edmund Stoiber wollen schließlich vorbereitet sein. Bundesfinanzminister und CSU-Chef Theo Waigel bekommt den „Karlspreis“ der Sudetendeutschen Landsmannschaft verliehen. Zahlreiche CSU-Größen und Ministerpräsidenten stehen bereits in der Liste der Preisträger. Kein Wunder, versteht sich doch der Freistaat Bayern als Schirmherr der Sudetendeutschen und hat diese als „vierten Stamm“ adoptiert.

Seine von Neubauer so gelobte „Standfestigkeit ohne Wenn und Aber zu unserer Volksgruppe“ stellt Waigel sogleich unter Beweis. Er stellt klar, daß mit ihm „kein Schlußstrich“ zu ziehen sei und daß die die Vertreibung legitimierenden Benes-Dekrete und das tschechische Amnestiegesetz fallen müßten, wenn Tschechien in die Europäische Union wolle. „Sie passen weder in die europäische Rechtslandschaft, noch zu unserer Vision einer europäischen Zusammenarbeit freier Völker“, betont Theo Waigel.

Mit Wohlwollen registrieren die Anwesenden die feinen Unterschiede, die der CSU-Chef macht. Für ihn gibt es keine Verbrechen der Deutschen, sondern nur „Verbrechen, die im deutschen Namen begangen wurden“ — und natürlich „Verbrechen, die Tschechen an Deutschen begangen haben“. Beifall erhält Waigel, als er die tschechische Regierung auffordert, „so schnell wie möglich mit den Sudetendeutschen zu reden“.

Das ist auch Stoibers Forderung, der in Nürnberg begeistert gefeiert wird. Bayerns Ministerpräsident versichert den Sudetendeutschen, auch in Zukunft deren „verläßlicher Anwalt“ zu sein, und macht deutlich, daß es eine gemeinsame deutsch-tschechische Erklärung ohne Beteiligung der Sudetendeutschen mit der bayerischen Staatsregierung nicht geben werde. Er fordert die tschechische Regierung auf, die „Vertreibung insgesamt von Anfang bis Ende“ zum Unrecht zu erklären.

Halousek und Kovarik glauben nicht, daß es den Sudetendeutschen nur ums Reden geht. Sie befürchten, daß sie ein Staat im Staate werden würden, wenn man ihnen die Rückkehr und eine gewisse Autonomie gestattete. Wären die beiden Journalisten bei der Vortragsveranstaltung des Witiko- Bundes, der nationalen Gesinnungsgemeinschaft der SL, zugegen gewesen, wären ihre schlimmsten Befürchtungen noch übertroffen worden. Nicht nur, daß Witiko- Chef Walter Staffa explizit von der „Teilwiedervereinigung mit Mitteldeutschland“ spricht und Rückgabe des sudetendeutschen Eigentums und Entschädigung fordert. Hauptreferent Werner Obst läßt ganz unverblümt die Katze aus dem Sack: „Wir dürfen jetzt keine Verzichtserklärung gegenüber Prag abgeben, weil die Zeit für uns arbeitet.“

Er entwirft eine Vision für die nächsten zehn Jahre. Durch Integration in die EU müsse man die russische Gefahr ausschalten. Man könne dann endlich Druck ausüben und auch „friedliche Grenzveränderungen“ seien wieder denkbar. Moskau werde Deutschland „dann Ostpreußen gegen viel Geld aufdrängen“. Obst träumt von „100 Milliarden für Schlesien und Pommern, zahlbar in zehn Raten“. Das findet er durchaus machbar: „Wenn wir sechzig Milliarden pro Jahr für Asylanten ausgeben, muß es doch möglich sein, zehn Milliarden für unsere Ostgebiete zu zahlen.“ Die Zuhörer reiben sich zufrieden die Hände, und Witiko- Vize Horst-Rudolf Übelacker, einst „Republikaner“- Funktionär, bedankt sich bei seinem „Kameraden Obst“.

Hätten Halousek und Kovarik dann noch den aktuellen Witiko- Brief gelesen, dann wüßten sie über die „genetischen Dispositionen“ ihrer tschechischen Vorfahren genau Bescheid: „In puncto Verschlagenheit, aber auch Grausamkeit stehen wohl die meisten Europäer hinter ihnen zurück.“ So fahren beide mit der Erkenntnis nach Hause, daß auch dieser Sudetendeutsche Tag keine Annäherung gebracht hat.