Subcomandante Marcos ruft

■ "Kontinentales Treffen für eine menschliche Gesellschaft und gegen Neoliberalismus" beginnt morgen. Programm ist wie der Dschungel von Chiapas

Der Dschungel ruft. Mit einem morgen beginnenden europäischen Kongreß unter dem Motto „Ya basta, jetzt reicht's!“ soll eine Idee aus dem mexikanischen Urwald umgesetzt und nichts weniger als eine „Internationale der Hoffnung“ gegründet werden. Subcomandante Marcos, Führer der aufständischen Zapatisten, hatte in seiner blumigen „Deklaration von La Realidad“ vom Februar dieses Jahres vorgeschlagen, im Frühjahr „kontinentale Treffen für eine menschliche Gesellschaft und gegen den Neoliberalismus“ in Mexiko, Tokio, Sydney und Berlin abzuhalten. Zum Abschluß soll vom 27. Juli bis 3. August ein „Internationales Treffen“ in Chiapas folgen.

Die Veranstalter, die Mexiko- Gruppe des Forschungs- und Dokumentationszentrums Chile-Lateinamerika (FDCL), erwarten rund 1.000 TeilnehmerInnen aus allen Herren und Damen Ländern. Während OsteuropäerInnen eher spärlich vertreten sein werden und eine russische Delegation aus Geldmangel gar absagen mußte, haben sich aus Spanien, Frankreich und Skandinavien besonders viele Interessierte angemeldet. Am morgigen Donnerstag sollen sie im Mehringhof eintreffen, wo es auch eine Bettenbörse gibt. Abends um 19 Uhr stellt die mexikanische Journalistin Marta Duran im Zirkuszelt Cabuwazi „das zapatistische Politikverständnis“ vor.

Am Freitag um 9.30 Uhr findet im Haus am Köllnischen Park die offizielle Auftaktveranstaltung statt. Wer wo, wie und warum gegen den Neoliberalismus kämpft, darüber wollen unter anderem ein französischer Streikaktivist, eine Frauenbewegte aus Petersburg und ein oppositioneller serbischer Gewerkschafter diskutieren. Wer will, kann anschließend an der Anti-Gelöbnis-Demo oder abends an der Klärung des Begriffes „Neoliberalismus“ in der Kirche zum Heiligen Kreuz teilnehmen.

Am Samstag tagen über 40 Arbeitsgruppen quer über die Stadt verstreut, die Themen reichen vom „Widerstand gegen die neoliberale Wende in Deutschland“ bis zum „Massenstreik in Frankreich“, von „Struktur und Praxis der europäischen Flüchtlingsjagd“ bis zum „Libertären Ost-West-Gemeinschaftshaus in Prag“. Am Sonntag morgen ist ein Abschlußplenum angesetzt und danach ein „Aktionsumzug“ durch die City. Und mit dem „Ya Basta Block“ auf der Anti-Nato-Demo am Montag gibt es die dritte Demo-Gelegenheit innerhalb von vier Tagen.

Der Dschungel ruft und der Dschungel wuchert. Man vermag sich nicht so recht vorzustellen, wie sich aus diesem Wildwuchs politischer Beliebigkeit tragfähige Perspektiven ergeben sollen. An keiner Stelle wird ausdrücklich thematisiert, welche unterschiedliche Folgen Neoliberalismus zeitigt: Drittweltländer wie Mexiko sind mutmaßliche Verlierer der Globalisierung, die westlichen Industrieländer aber mutmaßliche Gewinner. Auch Boris Kanzleiter von der Vorbereitungsgruppe gibt zu, daß „politische Improvisation“ im Vordergrund stehen wird. „Die europaweite Resonanz hat uns einfach überrollt.“ Deswegen gebe es Überlegungen, im nächsten Jahr einen zweiten Kongreß in Barcelona oder Paris folgen zu lassen. Ute Scheub